LAG Hamburg – Urteil vom 31.05.2012 – 8 Sa 21/12

Ausgleichsquittung von Fiege uni/serv unwirksam:

Die 8. Kammer des LAG Hamburg – Urteil vom 31.05.2012 – 8 Sa 21/12 spricht unserer Mandantin eine Nachzahlung in Höhe von über 22.000,- Euro zu, die auf Grundlage der nichtigen CGZP-Tarifverträge gearbeitet hatte.

Das Besondere an dem Urteil: Folgende Ausgleichsquittung im Aufhebungsvertrag, den die Arbeitgeberin  Fiege uni/serv GmbH & Co. KG vorgegeben hatte, wurde für unwirksam erklärt:

 

1.  Die Parteien sind sich einig, dass das Arbeitsverhältnis einvemehmlich mit Ablauf des 31.08 2009 beendet worden, ist/enden wird. Der/Die Mitarbeiter/in wurde vom Fiege uni/serv auf die möglichen sozialversicherungsrechtlichen Nachteile hingewiesen.

2. Dem/Der Mitarbeiter/in wird während einer evtl. Arbeitsfreistellung der ausstehende Resturlaub gewährt („Urlaub ist gewährt und genommen“).

3. Dem Mitarbeiter wird während einer evtl. Arbeitsfreistellung das angesparte Arbeitszeitkonto gewährt („Arbeitszeitkonto ist gewährt und genommen“).

4. Zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche ist der/die Mitarbeiter/in verpflichtet, sich unverzüglich nach Abschluss dieser Vereinbarung beim Arbeitsamt zu melden. Weiter ist er/sie verpflichtet,aktiv nach einer Beschäftigung zu suchen.

§ 5  Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der Erfüllung des vorstehenden Vergleiches keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mehr – gleich aus welchem Rechtsgrund bestehen.

Hamburg, 31.08.2009

Nachfolgend die Entscheidungsgründe im Volltext:

 

Die zulässige Berufung ist begründet.

I. Die Klage ist zulässig. Dass mit der In Klage und Berufung verwendeten Bezeichnung „Fiege uni/serv GmbH & Co KG“ die
„Fiege uni/serv GmbH“ gemeint ist, ergibt sich zweifelsfrei aus der Umwandlung, durch welche die GmbH in alle Rechte und Pflichten
der KG eingetreten ist. Die Beklagte hat sich im Übrigen in erster Instanz auf die erst am 30.12.2010 erhobene Klage rügelos einge
lassen, obwohl die KG bereits im Zeitpunkt der Klagerhebung nicht mehr existierte.

II. Die Klage ist auch begründet.
1. Der Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 10 IV 1 AÜG.

a) Die von der Klägerin unter Berücksichtigung von der Beklagten fürden streitigen Zeitraum geltend gemachte Vergütung entspricht den
Arbeitsbedingungen der Entleiherin. Dies ergibt sich aus der Auskunft der Entleiherin (Anl. K3, Bl. 81 d.A.), dem Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel und den von der Klägerin vorgelegten Entgeltabrechnungen der Beklagten. Die Beklagte hat Entstehung und Höhe der Forderung auch nicht in Abrede gestellt.

b) Der Zahlungsanspruch ist nicht gemäß §10 IV 2 AÜG ausgeschlossen, denn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kein
Tarifvertrag Anwendung. Zwar haben die Parteiein in § 1 ihres Arbeitsvertrags die zwischen AMG und CGZP vereinbarten Tarif
verträge umfassend in Bezug genommen. Diese Tarifverträge sind jedoch – unabhängig vom Zeitpunkt ihres Abschlusses – unwirksam.
Dies steht fest, nachdem das BAG mit Beschluss vom 22.05.2012 (1 ABN 27/12) die Beschwerde gegen die Nichtzulassung im Urteil
– LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2012 (24TaBV 1285/11) zurückgewiesen hat.

2. Die Ansprüche der Klägerin sind nicht gemäß § 15 des Arbeitsvertrags der Parteien verfallen. Zwar ist die Vereinbarung von Aus
schlussfristen in Formulararbeitsverträgen weder überraschend noch ungewöhnlich. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer jedoch unange
messen, wenn die einzelnen Stufen nicht jeweils mindestens drei Monate betragen (vgl. BAG v. 12.03.2008 – 10 AZR 152/07 – Tz 19).
So liegt der Fall hier. Die Frist für die erste Stufe der Ausschlussfrist beträgt nach § 15 I des Arbeitsvertrags nur 2 Monate. Damit ist die
gesamte Ausschlussregelung unwirksam, ohne dass es darauf ankommt, dass auch die 2. Stufe (mit nur einem Monat) einer
Inhaltskontrolle nicht standhalten würde.

3. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht gemäß § 5 des Aufhebungsvertrags der Parteien untergegangen. Die Berufungskammer
vermag der entgegenstehenden Auffassung des Arbeitsgerichts nicht zu folgen.

a) Welche Rechtsqualität und welchen Umfang die in einem Aufhebungsvertrag vereinbarte Ausgleichsklausel hat, ist nach den
Regeln der §§ 133,157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Als rechtstechnische Mittel für den Willen der Parteien, ihre Rechts
beziehung zu bereinigen, kommen insbesondere der Erlassvertrag, das konstitutive und das deklaratorische Schuldanerkenntnis in
Betracht.

Ein Erlassvertrag (§ 397 I BGB) ist dann anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld aus
gehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten. Ein konstitutives Schuldanerkenntnis i.S.v. § 397 II BGB
liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten
Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien
nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen Maßgeblich ist das Verständnis eines
redlichen Erklärungsempfängers. Dieser ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkenn
baren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Zu berücksichtigen ist ferner der Grundsatz
der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (BAG v. 07.11.2007 – 5 AZR 880/06 – Tz 17 m.w.N.).

An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hohe Anforderungen zu stellen. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein
Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind. Wenn feststeht, dass eine Forderung ent standen ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben.

Dem steht die Annahme nicht entgegen, eine Ausgleichsquittung sei im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen, denn
das betrifft den Umfang der Ausgleichsklausel, wenn die Rechtsqualität dem Grunde nach geklärt ist (BAG v. 07.11.2007 – 5 AZR 880/06-Tz22).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze spricht nach Auffassung derKammer mehr dafür, § 5 des Arbeitsvertrags als deklaratorisches
(negatives) Schuldanerkenntnis zu verstehen und nicht als konstitutives Schuldanerkenntnis. Die Formulierung: „Die Parteien sind sich
darüber einig, dass … keine Ansprüche … mehr… bestehen“ spricht eher für eine Beschreibung der bestehenden Rechtslage. Jedenfalls
fehlen Anhaltspunkte für den Willen, gestaltend auf die Rechtslage einzuwirken. Auch die Formulierung: „gleich aus welchem Rechts
grund“ trägt eine so weitgehende Folgerung nicht. Sie bezieht sich allenfalls auf die Beendigung selbst und auf die in den §§ 2 und 3
des Vertrags geregelten Fragen des Urlaubs und des Arbeitszeitkontos, nicht jedoch auf Ansprüche, von deren Existenz jedenfalls die
Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ausgegangen ist.

Aus der von der Beklagten angeführten Entscheidung des LAG Thüringen vom 17.04.2012 (1 Sa 253/11) ergeben sich keine
Anhaltspunkte, die gegen die Auslegung der Kammer sprechen. Das LAG Thüringen hat § 5 des dortigen Arbeitsvertrags zwar eindeutig
als konstitutives Schuldanerkenntnis ausgelegt, seine Auslegung aber nicht im Einzelnen begründet. Die Ausführungen beziehen sich
ausschließlich auf die Frage der Intransparenz der Klausel i.S.v. § 307 I 2 BGB.

4. Auch wenn man die Auslegung des Arbeitsgerichts, die maßgebliche auf die Formulierung „gleich aus welchem Rechtsgrund“ abstellt
für ebenso vertretbar hält, wie die gegenteilige Auslegung der Berufungskammer, käme nach § 305 c II BGB im Zweifel die für den
Verwender ungünstigere Auslegung zu Anwendung. Dass es sich bei dem Aufhebungsvertrag um vorformulierte Vertragsbedingungen der
Beklagten handelt, ist zwischen den Parteien unstreitig.

5. Würde man der Auslegung von § 5 des Arbeitsvertrags durch das Arbeitsgericht folgen und die von der Kammer vertretene gegentei
lige Auslegung nicht ernsthaft in Betracht ziehen, so dass § 305 c II BGB nicht zur Anwendung käme, wäre die Klage gleichwohl begrün
det. § 5 des Arbeitsvertrags wäre in dieser Auslegung jedenfalls gemäß § 307 II Nr. 1 BGB und § 307 I 1 BGB unwirksam, weil die
Klägerin durch die Klausel unangemessen benachteiligt würde.

a) Ausgleichsklauseln in Aufhebungsverträgen unterliegen der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff BGB. Hauptleistungen eines Aufhe
bungsvertrags, die keiner Inhaltskontrolle unterliegen, sind lediglich das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Beendigung und eine
evtl. dafür gewährte Abfindung. Ausgleichsklauseln sind als Teil des Aufhebungsvertrags nicht Haupt- sondern Nebenabrede und deshalb
nicht kontrollfrei (vgl. BAG v. 21.06.2011 – 9 AZR 203/10 – Tz 40f).

b) § 5 des Arbeitsvertrags der Parteien in der Auslegung des Arbeitsgerichts stellt eine von dispositivem Recht abweichende Regelung
dar. Nach § 10 IV 1 AÜG sollen Leiharbeitnehmern grundsätzlich die gleichen Arbeitsbedingungen gewährt werden wie vergleichbaren
Arbeitnehmern des Entleihers. Eine Ausnahme lässt § 10 IV 2 AÜG nur zu, wenn die Arbeitsbedingungen beim Verleiher durch einen
Tarifvertrag geregelt sind. Diese Ausnahme lag hier nicht vor, weil der in Bezug genommene Tarifvertrag unwirksam war. Die
Vereinbarung eines unwirksamen Tarifvertrags steht dem Fehlen einer tarifvertraglichen Regelung in § 10 IV 2 AÜG gleich.

c) Unabhängig davon benachteiligt § 5 die Klägerin unangemessen.

Der – nach der Auslegung des Arbeitsgerichts anzunehmende – konstitutive Verzicht auf Ansprüche jeglicher Art trifft zwar – anders
als in dem der Entscheidung des BAG vom 21.06.2011 (a.a.O.) zugrunde liegenden Fall beide Parteien. Für die Arbeitnehmerin wäre
der Verzicht jedoch ungleich folgenschwerer, weil sie ohne jede Gegenleistung auf gesetzliche Ansprüche in erheblicher Höhe
verzichten würde. Die (unstreitige) Interessen läge bei Abschluss des Aufhebungsvertrags, in der auch die Klägerin ein Interesse an einer
vorfristigen Aufhebung des Arbeitsvertrags hatte, mag den Verzicht auf eine Abfindung, welcher ohnehin keiner Vertragskontrolle
unterliegt, angemessen erscheinen lassen. Schon die in den §§ 2 und 3 des Aufhebungsvertrags getroffenen Regelungen werfen
Zweifel an der Angemessenheit der Vereinbarung auf. Da der vereinbarte Beendigungszeitpunkt mit dem Tag der Aufhebungsver
einbarung übereinstimmt, ist die in § 2 vereinbarte Arbeitsfreistellung zur Abgeltung der Resturlaubsansprüche offensichtlich fiktiv. Eine
Freistellung konnte weder zur Erfüllung von Urlaubsansprüchen noch zum Ausgleich von Zeitguthaben erfolgen. Hinsichtlich der Urlaubs
ansprüche spricht Vieles für einen Verstoß gegen § 13 BUrlG. Auch nicht ansatzweise erkennbar ist, weshalb die Klägerin ohne jegliche
Gegenleistung auf weitere, ihr nach dem Gesetz zustehende Ansprüche in erheblicher Höhe verzichten sollte.

Die Klausel berücksichtigt insoweit – trotz formaler Beidseitigkeit – einseitig die Interessen der Beklagten.

III. Der Zinsanspruch ergibt sich – für die Zeiträume, für die Zinsen beantragt worden sind – aus §§ 288, 286 BGB.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 VI ArbGG i. V. m. § 91 I
ZPO.

V. Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Die Berufungskammer folgt der einschlägigen höchstrichterlichen Recht
sprechung. Die rechtlichen Erwägungen, auf denen das Urteil beruht, haben keine grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 II Nr. 1 ArbGG.
Eine Divergenz zu der Entscheidung des LAG Thüringen vom 17.04.2012 (1 Sa 253/11) besteht nicht.

Das LAG Thüringen ist zwar bei der Auslegung einer Vertragsklausel, welche mit derjenigen des
vorliegenden Verfahrens wörtlich übereinstimmt, zu einem anderen Ergebnis gelangt als die Kammer. Die Auslegung der Kammer beruht
jedoch auf der Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles. Das LAG Thüringen hat sich hingegen auf die
Prüfung der Intransparenz der dort verwendeten Klausel beschränkt und im Übrigen – zur Auslegung – keinen abstrakten Rechtssatz
aufgestellt.