Arbeitsgericht Cottbus: Equal Pay im Falle der nicht nur vorübergehenden Überlassung

Das Arbeitsgericht Cottbus ist bekannt für mutige und wegweisende Entscheidungen. So war es das erste Gericht, das die nicht nur vorübergehende Überlassung für verboten erklärt und dem Betriebsrat das Recht zur Zustimmungsverweigerung eingeräumt hat.

Jetzt hat das Arbeitsgericht Cottbus – Beschluss vom 06.02.2014 – 3 BV 96/13 wieder für Furore gesorgt:

Nach Auffassung der 3. Kammer müssen die Leiharbeitnehmer für die Zeit der Dauerüberlassung die gleiche Vergütung erhalten. Konsequenz: Die Rechte aus der Betriebsverfassung müssen angeglichen werden, der Betriebsrat des Entleiherbetriebes muss die gleichen Mitbestimmungsrechte erhalten.

Konkret: Der immer wieder in den Schlagzeilen stehende private Klinikbetreiber Asklepios muss die von seiner Personalservicegesellschaft entliehenen Leiharbeitnehmer in den Kliniktarif eingruppieren.

Recht so.

Hier die wesentlichen Gründe des Gerichts:

Dem Arbeitgeber wird aufgegeben, die Mitarbeiter/innen … nach Maßgabe der Haustarifverträge der Beklagten mit der Gewerkschaft Verdi vom 03.05.2013 einzugruppieren (Entgeltgruppe Service) und die Zustimmung des Betriebsrats zu dieser Eingruppierung zu beantragen und im Verweigerungsfalle das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

 

2.

Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin die Eingruppierung nach Maßgabe des bei ihr geltenden Haustarifvertrages und die Einleitung eines ergebnisoffenen
Mitbestimmungsverfahrens gemäß § 99 BetrVG verlangen.

a)

Der Anspruch des Betriebsrates ergibt sich nicht bereits daraus, dass die unbefristet und dauerhaft ausgeliehenen im Antrag genannten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit dem 01.12.2011 in einem Arbeitsverhältnis zur Entleiharbeitgeberin stehen. Mangels einer gesetzlichen Regelung lässt sich eine solche Rechtsfolge auch bei rechtsmissbräuchlicher Arbeitnehmerüberlassung nicht aus den Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes herleiten. Insoweit schließt sich die Kammer den übeizeugenden Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 15.05.2013 – 7AZR 494/11 und Urteil vom 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, zitiert nach juris) an.

b)

Eine rechtsmissbräuchliche Arbeitnehmerüberlassung kann hingegen nicht sanktionslos bleiben. Dies gebietet eine europarechtskonforme Auslegung. Artikel 10 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeitnehmer überläset zwar den Mitgliedstaaten die Entscheidung, welche Sanktionen sie vorsehen wollen. Gleichzeitig bestimmt Artikel 10 Absatz 2 Satz 2 aber, dass die Sanktionen wirksam angemessen und abschreckend sein müssen. Der Europäische Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen in ständiger Rechtsprechung angenommen, es sei Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden (so z.B. EuGH vom 10.04.1984 C-14/83 von Colson und Kamann, zitiert nach juris).

aa)

Ein institutioneller Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn durch eine vertragliche Gestaltung zwingende soziale Schutzrechte umgangen werden sollen. Dies kann insbesondere bei einem konzernintemen Dauerverleih der Fall sein. Der Verleiher wird in diesem Fall nur dazwischen geschaltet, um günstigere Tarffbedingungen fürLeiharbeitnehmer zu nutzen und den Bestandsschutz aufheben zu können. Bei dem konzemintemen Verleih entfällt für den Arbeitgeber das typische Arbeitgeberrisiko. Da der Verleiher gar nicht ernsthaft am Markt auftritt, sondern nur in symbiotischer Beziehung zu anderen Unternehmen existiert, wird hier angenommen, dass kein gewerbsmäßiger Verleiher, sondern ein gewerbsmäßiger „Strohmann“ vorliege (LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2013 -15 Sa 1635/12, zitiert nach juris Rn. 38). Verfolgt die Einstellung von Leiharbeitnehmem, wie typischerweise bei konzerneigenen Personaldienstleistungsgesellschaften, einen dem sozialen Schutzzweck der Leiharbeitsrichtlinie entgegenstehenden Zweck, so ist dies rechtsmissbräuchlich. Dies ist insbesondere zu bejahen, wenn Leiharbeitnehmer dauerhaft nur noch eingestellt werden, um eine Senkung der Personalkosten zu erreichen (LAG Niedersachsen vom 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11, zitiert nach juris Rn. 38).

bb)

Vorliegend beruft sich die Arbeitgeberin auf eine solche rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung. Die Beschäftigung der in den Anträgen genannten Leiharbeitnehmer erfolgt nicht nur vorübergehend imSinne des § 1 Absatz 1 Satz 2 AÜG.
Eine Überlassung von Arbeitnehmern, die, wie im vorliegenden Fall unstreitig auf Dauer angelegt ist, erfolgt nicht mehr vorübergehend. Dies ist immer dann der Fall, wenn die verliehenen Arbeitnehmer auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden, für die keine Stammarbeitnehmer vorhanden sind (LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12, zitiert nach juris Rn. 61). Vorliegend setzt die Arbeitgeberin die in den Anträgen genannten Arbeitnehmer unstreitig auf Dauerarbeitsplätzen ein. Verleiharbeltgeber sind die GfB Medi GmbH und PAG GmbH, die unstreitig Personalservicegesellschaflen innerhaib des Askiepioskonzerns sind. Diese Konzemleihe ermöglicht es, die Leiharbeitnehmer nach den niedrigeren Tarifverträgen der IGZ/DGB zu entlohnen. Gleichzeitig verschlechtert sich auch die kündigungsrechtiiche Situation der Leiharbeitnehmer. Die Konzernentieihe dient also ganz eindeutig dazu, zwingende soziale Schutzrechte zu umgehen. Sie führt letztlich zu einer „Zweiklassengeseilschaft“ innerhalb des Betriebes.

c)

Der vorliegende institutionelle Rechtsmissbrauch führt dazu, dass den beschäftigten Leitarbeitnehmern Ansprüche gegenüber dem Entleiharbeitgeber zustehen.

aa)

§ 1 Absatz 1 Satz 2 ArbGG ist ein Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG (BAG vom 10.07.2013 – 7 AZR 91/11, zitiert nach juris Rn. 48). Bei dessen Verletzung stehen dem Betriebsrat nicht nur Zustimmungsvenweigerungsgründe bei der Einstellung zu, sondern er kann auch selbst Initiativrechte nach § 99 BetrVG, hierhinsichtlich der Eingruppierung, geltend machen.

bb)

Dem Anspruch des Betriebsrates auf Mitbestimmung bei der Eingruppierung steht spiegelbildlich der jeweilige individuairechtliche Anspruch auf Eingruppierung und entsprechender Entlohnung gegenüber. Sollen durch eine vertragliche Gestaltung zwingende soziale Schutzrechte umgangen werden, bleiben die daraus bestehenden Ansprüche bestehen. Die Gestaltung ist insoweit nichtig, als sie diese Ansprüche vereitelt (vgl. BGH vom 23. Juni 1971 – VIII ZR 166/70 zu III der Gründe, BGH Z 56, 285; BAG vom 15.05.2013 – 7 AZR 494/11, zitiert nach juris Rn. 33). Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 15.05.2013 zutreffend ausführt, kann ein Rechtsmissbrauch sich auch aus dem bewussten und gewollten Zusammenwirken mehrerer Personen bei den Vertragsgestaltungen ergeben (vgl. auch BAG vom 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09 —Rn. 21;
BAG vom 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 – Rn. 39). Werden die Rechte der Arbeitnehmer durch die Zwischenschaltung eines „Strohmanns“ umgangen, kann dies dazu führen, dass Ansprüche sich gegen den Dritten richten können (vgl. BGH vom 22.11.2006 – VIII ZR 72/06 – Rn. 15ff, BGHZ 170, 67). Werden im bewussten und gewollten Zusammenwirken arbeitsrechtliche Schutzvorschriften umgangen, kann dies zur Folge haben, dass sich eine hieran beteiligte Person so behandeln lassen muss, wie sie bei der Anwendung der umgangenen Vorschrift zu behandeln wäre (BAG vom 15.05.2013 – 7 AZR 494/11, zitiert nach juris Rn. 33 mit weiteren Nachweisen). In einem solchen Fall kann die Rechtsfolge darin bestehen, dass sich bei Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses zum Dritten einzelne Ansprüche gegen denjenigen richten, der rechtsmissbräuchlich  vertragliche Beziehungen zu sich verhindert hat.

cc)

Vorliegend besteht die Umgehung sozialer Schutzrechte im Wesentlichen darin, dass den dauerhaft entliehenen Arbeitnehmem, die in gleicher Weise wie die Stammarbeitnehmer in den Betrieb der Arbeitgeberin eingegliedert sind, eine höhere Bezahlung nach dem Haustarifvertrag verwehrt wird. Diese rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung führt dazu, dass den Leiharbeitnehmern, die, wie vorliegend auf Dauerarbeitsplätzen tätig sind und von konzerneigenen Personalservicegeselischaflen entliehen werden, ein Anspruch gegen die Entleiharbeitgeberin auf Eingruppierung und Bezahlung der Differenzvergütung zusteht.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 15.05.2013 bereits solche Ansprüche für möglich gehalten, wenn es schreibt:

    „könnte dies allenfalls zu Leistungspflichten des Entleihers, jedoch nicht zum Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen ihm und dem Entleihunternehmen führen.“

Im Hinblick auf die geforderte europarechtskonforme Auslegung ist diese Rechtsfolge wirksam angemessen und abschreckend.

dd)

Haben aber die Leiharbeitnehmer Ansprüche gegen die Entleiharbeitgeberin auf Eingruppierung und Zahlung des Differenzentgeltes, so steht dem Betriebsrat ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht zu.