Das Bundesarbeitsgericht sollte am 14.04.2015 der Frage nachgehen,
- ob Arbeitgeber bei Streiks während Tarifauseinandersetzungen Leiharbeiter einsetzen dürfen
- ob sich Zeitarbeiter gegen den Einsatz als Streikbrecher wehren können.
Der Präzedenzfall für die erwartete Entscheidung des 1. Senats kommt aus Baden-Württemberg. Es geht um eine Busfahrer, der sich weigerte, in einem bestreikten Betrieb zu arbeiten und das Recht auf seiner Seite glaubte. Der Mann verlangte mit seiner Klage, dass die wegen der Arbeitsverweigertung erteilte Ermahnung aus der Akte entfernt wird.
Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi geht es um die Stadtwerke Ulm, die den öffentlichen Nahverkehr seit Jahren über eine Servicegesellschaft betrieben. Zum Zeitpunkt des Streiks 2012 soll diese nur etwa 60 eigene Arbeitnehmer beschäftigt haben. Damit der Busverkehr in und um Ulm rollte, lieh sich die Gesellschaft regelmäßig etwa 130 Arbeitnehmer der Stadtwerke aus. Der Busfahrer gehört laut BAG zu den Angestellten der Beklagten – und damit der Stadtwerke Ulm.
Zum Konflikt kam es, als die Gewerkschaft Verdi auch mit Streiks einen Tarifvertrag bei der Servicegesellschaft durchsetzen wollte. Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht, das die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zuließ, hatte der Busfahrer mit seiner Klage Erfolg.
(Quelle: focus.de vom 13.04.2015)
Arbeitgeber gibt auf
Laut BAG Pressemitteilung Nr. 19/15 sind die Termine aufgehoben worden, nachdem der Arbeitgeber die Revision zurückgenommen hat.
- Streik im Entleihbetrieb – Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers; Mitteilung zu den Verfahren – 1 AZR 792/13 und 1 AZR 793/13 – Angekündigter Termin: 14. April 2015.
- Die Termine in diesen Sachen sind aufgehoben worden. Die Beklagte hat die Revisionen zurückgenommen
- Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg- Urteile vom 31. Juli 2013 – 4 Sa 18/13 – und – 4 Sa 19/13 –
Somit bleibt es bei folgender Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Leitsätze 4 und 5) :
…
4) Das Leistungsverweigerungsrecht des § 11 Abs. 5 AÜG schützt nur vor einem Einsatz beim bestreikten Entleiher, nicht vor einem Einsatz beim nicht bestreikten Verleiher.
5) Übernimmt ein Drittunternehmen (hier der Verleiher) vom bestreikten Unternehmen (hier der Entleiher) die bestreikte Produktion/Dienstleistung, kann der Arbeitnehmer des streikbrechenden Drittunternehmens die Arbeitsleistung nach den Grundsätzen, wie sie bei „direkter Streikarbeit“ gelten, verweigern.
Das heißt: Verleiher und Entleiher können das Recht zur Verweigerung von Streikarbeit nicht dadurch umgehen, dass der Verleiher für den fraglichen Streiktag keinen Auftrag zur Gestellung von Personal, sondern einen Auftrag zur Erbringung der Dienstleistung erhält.
Die für die Frage des Streikrechts entscheidenden Urteilspassagen im Wortlaut:
4. Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass die Beklagte weiterhin Arbeitgeberin des Klägers geblieben ist und nicht die S.M. in die Arbeitgeberstellung eingerückt ist, wäre die Ermahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Denn die Beklagte hat dann mit ihrer Weisung an den Kläger, die Fahrdienstleistungen am Streiktag entsprechend der Dienstplaneinteilung zu erbringen, ihr Direktionsrecht gem. § 106 GewO überschritten, weshalb der Kläger zur Erbringung der angewiesenen Tätigkeiten nicht verpflichtet war.
a) Sollte die Beklagte entsprechend der klägerische Behauptung keine Arbeitsleistung für sich selbst, sondern für die S.M. im Leiharbeitsverhältnis angewiesen haben, hätte der Kläger die Erbringung der Tätigkeit gem. § 11 Abs. 5 AÜG zu Recht verweigert. Denn die S.M. war vom Arbeitskampf unmittelbar betroffen.
b) Aber selbst wenn man die Behauptung der Beklagten unterstellen wollte, dass diese für den Streiktag den Auftrag zur Durchführung der Fahrdienstleistungen von der S.N. GmbH übertragen erhalten hat und zugleich die S.M. auf die Überlassung der Arbeitnehmer für diesen Tag verzichtet hat, und man zugleich unterstellen wollte, dass Herr W. gegenüber dem Kläger ausdrücklich kommuniziert hat, dass er Arbeitsleistungen nur und ausschließlich für die Beklagte erbringen sollte, ändert dies am Ergebnis nichts.
aa) Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass der Kläger eine Leistungsverweigerung in diesem Falle nicht über § 11 Abs. 5 AÜG hätte begründen können. Denn ausweislich des eindeutigen Wortlauts der Norm ist ein Leiharbeitnehmer lediglich nicht verpflichtet, bei einem von einem Arbeitskampf unmittelbar betroffenen Entleiher tätig zu werden. Das heißt, der Arbeitnehmer kann durchaus bei anderen, nicht vom Streik betroffenen Entleihern eingesetzt werden (Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 11 Rn. 125). Dies muss auch für Tätigkeiten für einen nicht vom Streik betroffenen Verleiher selbst gelten.
bb) Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Arbeitnehmer nicht gegen ihren Willen zu einer sogenannten direkten Streikarbeit, bzw. Streikbrucharbeit herangezogen werden dürfen. Denn es ist einem Arbeitnehmer unzumutbar, sich gegenüber streikenden Kollegen unsolidarisch zu verhalten und diesen in den Rücken zu fallen (BAG 25. Juli 1957 – 1 AZR 194/56 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 3; Berg/Kocher/Platow/Schoof/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 4. Aufl. Teil 3 Arbeitskampfrecht Rn. 305, 306, 506, 507; Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 19 Rn. 68; Kissel Arbeitskampfrecht § 42 Rn. 91; Otto Arbeitskampfrecht und Schlichtungsrecht § 12 Rn. 32). Die Heranziehung zur Streikbrucharbeit ist keine zulässige Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers sondern eine unlautere Unterlaufungsstrategie. Denn das Vorgehen, Mitarbeiter zu Streikbrucharbeit heranzuziehen, zielt im Kern gegen die Koalitionsfreiheit und die Gewerkschaften. Streikbruch dient dazu, den Streik unwirksam zu machen und der Gewerkschaft dieses Mittel aus der Hand zu schlagen oder den Gebrauch des Freiheitsrechts zu erschweren – ähnlich wie bei einer Aussperrung (Berg/Kocher/Platow/Schoof/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 4. Aufl. Teil 3 Arbeitskampfrecht Rn. 306). Durch eine Heranziehung zu direkter Streikarbeit werden die Aussichten eines Streiks unmittelbar beeinträchtigt, die den in den Kreisen der Arbeitnehmer mit Recht herrschenden Anschauungen widerspricht, wie auch umgekehrt die Arbeitgeber eine Verletzung der Solidarität in ihrem Bereich als ungerechtfertigt und anstößig empfinden würden (BAG 25. Juli 1957 aaO.).
Diese Grundsätze gelten jedoch nicht nur dann, wenn der vom Streik betroffene Arbeitgeber eigene nicht vom Streik betroffene Arbeitnehmer zur Streikarbeit auffordert. Vielmehr müssen diese Grundsätze auch dann gelten, wenn Drittunternehmen ihren Arbeitnehmern eine solche Streikarbeit zuweisen. Denn übernimmt ein Arbeitgeber als Drittunternehmen von einem bestreikten Unternehmen die bestreikte Produktion/Dienstleistung, um dem Streik in einem anderen Unternehmen die Wirkung zu nehmen, greift er auf Seite des bestreikten Arbeitgebers aktiv in den Arbeitskampf ein. Die Arbeitnehmer des streikbrechenden Drittunternehmens können sich dann nach den Grundsätzen unzumutbarer Streikarbeit weigern, die entsprechende Tätigkeit zu verrichten (Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 19 Rn. 67, 69; Berg/Kocher/Platow/Schoof/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 4. Aufl. Teil 3 Arbeitskampfrecht Rn. 506).
Aus den Wertungen des § 11 Abs. 5 AÜG sowie des § 36 Abs. 3 SGB III, wonach auch die Agentur für Arbeit keine Arbeitnehmer in unmittelbar streikbetroffene Bereiche vermitteln darf, ist zu entnehmen, dass streikbrechende Direktionsrechtsmaßnahmen nicht mehr billigem Ermessen entsprechen gem. § 106 GewO (Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 19 Rn. 66).