Überraschung: EU-Kommission hält unbefristete Arbeitnehmerüberlassung für erlaubt

Wie bereits berichtet, hat die EU-Kommission auf unsere Veranlassung die Vorprüfung für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die BR Deutschland eingeleitet. Unsere Beschwerde: Der Gesetzgeber und die Bundesregierung haben – wie vom Bundesarbeitsgericht attestiert – bewusst darauf verzichtet, das aus der Richtlinie folgende Verbot der unbefristeten Überlassung zu sanktionieren.

Jetzt die überraschende und wenig überzeugende Antwort aus Brüssel:

Die EU-Kommission beabsichtigt, das Verfahren einzustellen. Die Richtlinie sehe keine Beschränkung der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an die entleihenden Unternehmen vor. Zitat:

  • „Da die langfristige Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen keinen Verstoß gegen die Richtlinie 2008/104/EG darstellt, sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Sanktionen für einen solchen Fall vorzusehen…“

Droht dem Verbot der Dauerleihe und der Höchstüberlassungsfrist das Aus?
Gemessen an der Rechtsauffassung der EU-Kommission ließe sich die BAG-Rechtsprechung, die von einem Verbot der nicht-vorübergehenden Überlassung ausgeht, nicht aufrechterhalten. Vielmehr wäre umgekehrt zu fragen: Besteht in Deutschland ein ausreichendes Allgemeininteresse für eine Höchstüberlassungsdauer und ein Verbot der nicht-vorübergehenden Überlassung?

Während Brors/Schüren (Gutachten MAIS NRW 02/2014) und Ulber/Stangl (Arbeit und Recht 2015, 250) von weitreichenden Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes träumen, wird das Bundesarbeitsministerium Probleme bekommen, auch nur den Koalitionsvertrag umzusetzen. Nahles wird die Einführung einer Höchstüberlassungsfrist sehr sorgfältig begründen müssen.

Halbgare Lösung zu erwarten
Im Ergebnis könnte es zwar dazu kommen, dass die Überlassung ein und desselben Leiharbeitnehmers nach 18 Monaten enden muss. Die anschließende Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem neuen Leiharbeitnehmer wird aber wohl erlaubt bleiben. Ein arbeitsplatzbezogenes Verbot ist nicht zu erwarten. „Rollierende Systeme“ werden möglich bleiben – sofern es solcher Konstruktionen angesichts zu erwartender Tariföffnungsklauseln überhaupt bedarf.

Fazit:
Die Zeitarbeitsbranche hat nichts zu befürchten. Im Gegenteil: Die deutschen Arbeitsgerichte werden den EuGH  zur Frage des Verbots der Dauerüberlassung befragen müssen. Und wer weiß schon, was dabei herauskommt? Im schlimmsten Fall ein Comeback der Personalservicegesellschaften.

 

Nachfolgend das Schreiben der EU-Kommission im Volltext:

Ihre Beschwerdeverfahren gegen Deutschland (Az.: CHAP(2015)00716)

Sehr geehrter …..

ich nehme Bezug auf Ihre Beschwerde im Namen der Leiharbeitnehmerin …vom 13. Januar 2015, die am 10. März registriert wurde. Darin fordern Sie die Europäische Kommission auf, gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 258 AEUV wegen der Nichtumsetzung von Artikel 10 Absatz 2 Sätze 1 und 2 Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit einzuleiten.

Gemäß Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie legen die Mitgliedsstaaten fest, welche Sanktionen bei einem Verstoß gegen die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen die zu deren Durchsetzung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Sie machen geltend, dass „ein Missbrauch der Leiharbeit jedenfalls dann [vorliegt], wenn die Überlassung eines Arbeitnehmers über Jahre hinweg unbefristet erfolgt und wenn während dieser Zeit schlechtere Arbeitsbedingungen als im Entleihunternehmen gewährt werden“. Ihren Ausführungen zufolge hat … die Arbeitnehmerüberlassung |…] vorübergehend zu erfolgen. Die dauerhafte Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern steht im eklatanten Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie.“ Da der nationale Gesetzgeber beschlossen hat, keine Rechtsfolge für den Fall der nicht vorübergehenden Überlassung und auch keine Rechtsfolge für den Fall der dauerhaften Schlechterstellung zu regeln, verstößt die Bundesrepublik Deutschland Ihrer Ansicht nach gegen Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie.
Die Richtlinie, die seit Dezember 2011 in vollem Umfang in allen Mitgliedstaaten gilt, definiert einen allgemeinen Rahmen für die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitskräften. Sie zielt auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Schutz der Leiharbeitnehmer einerseits (insbesondere durch die Einführung des Grundsatzes der Gleichbehandlung) und der Unterstützung der positiven Rolle, die Leiharbeit für die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes spielen kann, andererseits.

In Bezug auf die Dauer der Arbeitsverträge von Leiharbeitnehmern und die Dauer der Überlassung an die entleihenden Unternehmen möchte ich darauf hinweisen, dass die Richtlinie über die Leiharbeit für Leiharbeitnehmer gilt, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines befristeten oder eines unbefristeten Arbeitsvertrags von einem Leiharbeitsunternehmen eingestellt werden. Die Richtlinie sieht keine Beschränkung der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an die entleihenden Unternehmen vor. Die Mitgliedstaaten mussten bis Dezember 2011 möglicherweise bestehende Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit daraufhin überprüfen, ob sie aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Hierunter fielen insbesondere Beschränkungen im Hinblick auf die Zahl möglicher Verlängerungen der Arbeitsverträge von Leiharbeitnehmern oder auf die Dauer ihrer Überlassung.

Aus der Präambel der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geht ferner klar hervor, dass diese Richtlinie nicht für Leiharbeitnehmer gilt. Leiharbeit in der EU ist folglich nicht Gegenstand des Paragraphen 5 der genannten Rahmenvereinbarung, dem zufolge die Dauer befristeter Arbeitsverhältnisse beschränkt werden soll, indem die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Vermeidung des Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse ergreifen. Die Richtlinie über Leiharbeit enthält keine diesem Paragraphen entsprechenden Bestimmungen.

Die oben genannten Ausführungen zeigen, dass der durch die Richtlinie über Leiharbeit gewährte Schutz auch für Leiharbeitnehmer gilt, die im Rahmen einer langfristigen Überlassung über einen längeren Zeitraum unter der Aufsicht und Leitung ein und desselben entleihenden Unternehmens arbeiten. Da gemäß der Richtlinie Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, eine Höchstdauer für die Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen festzulegen, verstößt das Fehlen einer solchen Begrenzung in den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie nicht gegen ihre Bestimmungen. Auch gegen andere spezifische Bestimmungen des EU-Rechts wird damit nicht verstoßen.

Da die langfristige Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen keinen Verstoß gegen die Richtlinie 2008/104/EG darstellt, sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Sanktionen für einen solchen Fall vorzusehen.

Aus den Informationen, die Sie uns mit Ihrer Beschwerde übermittelt haben, ist für uns kein Verstoß der deutschen Behörden gegen das EU-Recht ersichtlich. Wir beabsichtigen daher, das Verfahren zu Ihrer Beschwerde einzustellen. Sollten Sie über neue Informationen verfügen, die uns Ihrer Meinung nach zu einer anderen Entscheidung veranlassen könnten, übermitteln Sie uns diese bitte so bald wie möglich, spätestens jedoch vier Wochen nach Datum dieses Schreibens.

Mit freundlichen Grüßen

M. G.
Referatsleiterin