Nahles' Gesetzentwurf Leiharbeit: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Achtung, nicht mehr aktuell –>  siehe nunmehr„Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ vorgelegt. Die Bundesregierung wollte die Leiharbeit „auf ihre Kernfunktion orientieren“ und den „Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern“.   Rechtsanwalt Holger Thieß hatte die wichtigsten Fragen zu diesem Entwurf beantwortet.

Achtung:

Das Bundesarbeitsministerium hat inzwischen einen neuen Referentenentwurf  vorgelegt. Stand: 17.02.2016. Damit sind viele der dargestellten Fragen und Antworten neu zu formulieren bzw. zu streichen. Aus „rechtshistorischen Gründen“ belassen wir hier die Fragen und Antworten zur teilweise veralteten Version vom 16.11.2015 und verweisen wegen der FAQ zur Version vom 17.02.2016 auf die Seite „Nahles‘ neuer Gesetzentwurf Leiharbeit: Die wichtigsten Fragen und Antworten“.

 

(Stichwortsuche mit „Strg F“)

1. Überlassungshöchstdauer: 18 Monate
Die vermeintlich wichtigste Änderung ist die Einführung einer Überlassungshöchstdauer (oder „Höchstüberlassungsdauer“) von 18 Monaten. Eine solche war bis Ende 2003 stets im Gesetz verankert, sie fiel erst im Zuge der Hartz-Gesetzgebung weg. Jetzt erlebt sie ihr Comeback.

1.1. Was heißt Überlassungshöchstdauer 18 Monate?
Überlassungshöchstdauer heißt, dass eine ununterbrochene Überlassung ein und desselben Leiharbeitnehmers an denselben Entleiher nach dem Ablauf von 18 Monaten verboten ist. 

1.2. Was passiert, wenn die Überlassungshöchstdauer überschritten wird?
Nach §§ 9 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-RefE soll bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer ein Arbeitsverhältnis zustande kommen, wenn der Leiharbeitnehmer dem nicht widerspricht. Die bisherige Rechtsprechung des BAG – Urteil vom 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, nach der kein Anspruch auf ein Arbeitsverhältnis bestehen soll, wäre damit hinfällig.

1.3. Unter welchen Voraussetzungen bleibt eine längere Überlassung erlaubt?
Eine längere Überlassung ist nur noch erlaubt, wenn dies in einem Tarifvertrag des Einsatzunternehmens geregelt ist und wenn eine zeitlich genau bestimmte Höchstdauer vereinbart ist. Dabei muss das Entleihunternehmen tarifgebunden sein. Nicht tarifgebundene Einsatzunternehmen können weder durch Bezugnahmeklauseln noch durch Betriebsvereinbarungen von der Überlassungshöchstdauer abweichen.

1.4. Kann ein Tarifvertrag der Zeitarbeit ein höhere Überlassungsdauer regeln?
Nein, das sieht der Entwurf nicht vor. Die Zeitarbeitsbranche kann keine tariflichen Ausnahmen mit den Gewerkschaften vereinbaren.

1.5. Was passiert, wenn der Leiharbeitnehmer beim Leiharbeitsunternehmen bleiben möchte?
Der Leiharbeitnehmer kann dem Übergang binnen eines Monat nach Überschreitung der Frist widersprechen und bleibt dann Arbeitnehmer des Leiharbeitsunternehmens.

1.6. Was droht dem Zeitarbeitsunternehmen bei einem Verstoß?
Bei einem Verstoß gegen die Höchstüberlassungsdauer kommt es zu drei Sanktionen:
Erstens droht der Entzug der zwingend erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Zweitens wird ein Bußgeld von bis zu € 30.000,00 verhängt. Und  drittens – für die Arbeitnehmer besonders wichtig – es wird ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher (= Einsatzbetrieb) begründet (wobei der Leiharbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen kann).

1.7. Gilt die Überlassungshöchstdauer für alle Branchen?
Nein. Ausgenommen von den Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer werden der öffentliche Sektor und  der kirchliche Sektor. Insbesondere soll die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVÖD nicht als verbotene Dauerüberlassung angesehen werden.

1.8. Was geschieht, wenn die Überlassung für einige Wochen unterbrochen wird, z. B. wegen Urlaubs oder wegen Erkrankung?
Eine Unterbrechung wird erst dann angenommen, wenn der Leiharbeitnehmer länger als sechs Monate nicht beim Entleihunternehmen im Einsatz war.

1.9. Werden Zeiten angerechnet, wenn der Arbeitsplatz vorher mit einem anderen Leiharbeitnehmer besetzt war?
Nein. Der Gesetzentwurf orientiert sich nicht am Arbeitsplatz, sondern am Leiharbeitnehmer. Die neue Überlassungshöchstdauer ist also „arbeitnehmerbezogen“: „Derselbe Leiharbeitnehmer darf nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen werden.” (§ 1 Abs. 1b AÜG-RefE).
Entscheidend ist, wie lange ein bestimmter Arbeitnehmer beim gleichen Arbeitgeber bleibt. Deshalb ist es künftig wieder denkbar, dass ein Dauerarbeitsplatz, für den ein nicht nur vorübergehender Bedarf besteht, durch (verschiedene) Leiharbeitnehmer besetzt werden kann. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11), die maßgeblich auf den Schutz der Stammbelegschaft abstellt, wäre veraltet. Keine gute Nachricht für Betriebsräte, die einen Abbau der Stammbelegschaft verhindern wollen.

1.10. Was passiert, wenn der Leiharbeitnehmer auf verschiedenen Arbeitsplätzen beim Entleihunternehmen bleibt?
Die neue Überlassungshöchstdauer ist als maximal zulässige Einsatzdauer des einzelnen Leiharbeitnehmers ausgestaltet, also arbeitnehmerbezogen (siehe 1.7.).. Daraus folgt, auf die Überlassungshöchstdauer werden alle Zeiten der Überlassung angerechnet, egal auf welchem Arbeitsplatz.

1.11. Kann der Verleiher seinen Arbeitnehmer nach 18 Monaten austauschen?
Ja, der Verleiher (oder auch ein anderer Verleiher) kann demselben Entleiher  nach Ablauf der 18 Monate einen anderen Leiharbeitnehmer überlassen, ohne dass die vorangegangene Überlassung angerechnet wird.

1.12. Darf der Verleiher den Leiharbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz beim selben Entleihunternehmen überlassen?
Nein, das ist nicht erlaubt. Derselbe Leiharbeitnehmer darf nicht länger als 18 Monate im selben Entleihunternehmen bleiben. Die Unterbrechung muss auch in diesem Fall 6 Monate betragen.

1.13. Ab wann beginnt die Überlassungszeit zu laufen? Gibt es eine Übergangsfrist?
Der Entwurf sieht vor, dass die Zählung der Überlassung  erst mit dem Inkrafttreten des Gesetzes beginnt, also voraussichtlich ab dem 01.01.2017. Vorherige Einsatzzeiten sollen außer Betracht bleiben.

 

2. Equal Pay nach spätestens 9 Monaten
Die zweite wichtige Änderung betrifft den gesetzlichen Grundsatz des Equal Pay (gleicher Lohn für gleiche Arbeit). Anders als bisher ist eine Abweichung durch die Tarifverträge der Zeitarbeit nicht mehr unbegrenzt möglich. Es gilt eine Grenze von 9 Monaten bzw. 12 Monaten (§ 8 AÜG-RefE).

2.1. Was ist die wichtigste Änderung?
Bisher war es den Zeitarbeitsunternehmen möglich, über ihre Tarifverträge der Zeitarbeit (iGZ bzw. BAP – DGB) dauerhaft weniger Geld zu zahlen. Die Tarifverträge der Zeitarbeit hatten stets Vorrang vor dem gesetzlichen Equal-Pay-Grundsatz. Die Möglichkeit  zur Tarifabweichung wird jetzt auf 9 Monate bzw. 12 Monate begrenzt.

2.2. Was wird in die Vergleichsberechnung einbezogen?
Für die Vergleichsberechnung wird nicht nur das Grundentgelt vergleichbarer Stammmitarbeiter zugrunde gelegt, sondern sämtliche auf den Lohnabrechnungen  ausgewiesenen Bestandteile der Bruttovergütung; dazu gehören z. B. vermögenswirksame Leistungen.  Sachbezüge wie Dienstwagen, Handy usw. werden ebenfalls einbezogen und in Geld umgerechnet.

2.3. Wann gilt die 9-Monats-Grenze, wann die 12-Monatsgrenze?
Grundsätzlich gilt die Grenze von 9 Monaten. Nur bei Anwendung eines  Branchenzuschlag-Tarifvertrags, z. B. der IG Metall oder der IG Chemie, soll Equal Pay drei Monate später, also nach 12 Monaten greifen.

2.4. Was geschieht mit den Branchenzuschlag-Tarifverträgen?
Die Branchenzuschlag-Tarifverträge, die den langfristig überlassenen Leiharbeitnehmer abhängig von der Überlassungsdauer Lohnerhöhungen gewähren, werden nach 12 Monaten außer Kraft gesetzt.

2.5. Was droht dem Zeitarbeitsunternehmen bei einem Verstoß?
Bei einem Verstoß gegen den Equal Pay-Grundsatz sind zwei Sanktionen vorgesehen: Erstens der Entzug der zwingend erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro.

2.6. Ab wann beginnt die Überlassungszeit zu laufen? Gibt es eine Übergangsfrist?
Im Gegensatz zur Höchstüberlassungsdauer (siehe Frage 1.13.) soll es bei Equal Pay keine Übergangsvorschriften geben, ein entsprechender Passus fehlt. Stattdessen sollen vorherige Einsätze berücksichtigt werden , sodass Zeitarbeitnehmer, die zum Inkrafttreten des Gesetzes (voraussichtlich am 01.01.2017) bereits 9 bzw. 12 Monate im Einsatz beim selben Kundenbetrieb sind, sofort den Anspruch auf Equal Pay haben.

 

3. „Bestrafung“ der verdeckten Leiharbeit durch Schein-Werkverträge
Die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung durch Scheinwerkverträge wird „bestraft“, indem der Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis mit dem „verdeckten Entleiher“ (= Auftraggeber) erhält.

3.1. Was ist die wichtigste Änderung?
In den letzten Jahren wurde immer mehr Personal über Werkverträge und Dienstverträge in fremden Unternehmen zum Einsatz gebracht. Die Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmern  bzw. von Leiharbeitnehmern wurden dadurch umgangen. In diesem Grenzbereich zwischen Arbeitnehmerüberlassung, Schein-Werk-/Dienstvertrag und echtem Werk-/Diensvertrag konnten die Auftragnehmer vorsorglich eine Überlassungserlaubnis  beantragen, um die Folgen illegaler Konstruktionen abzuwenden. Selbst wenn eine Scheinwerkvertrag entlarvt wurde, blieb noch der „Rettungsfallschirm“ Leiharbeit. Mit dieser Fallschirm-Lösung ist es demnächst vorbei.

Die sogenannte „Vorratserlaubnis“ soll bei Schweinwerk- und -dienstverträgen künftig nicht mehr helfen. Die verdeckte Überlassung über Schein-Werk-/Dienstverträge  soll der Überlassung ohne Erlaubnis und der Überlassung von länger als 18 Monaten gleichgestellt werden: In allen Fällen der verdeckten Überlassung soll künftig über §§ 9 Nr. 1a, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-RefE ein Arbeitsverhältnis zum vermeintlichen Werkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommen.

3.2 Was bedeutet die Neuregelung für die Personal stellenden Arbeitgeber?
Der Unternehmer, der Personal an Dritte überlassen will, muss die Arbeitnehmerüberlassung eindeutig kenntlich machen und als solche bezeichnen. Irgendwelche Mischformen wird es nicht mehr geben, weil dies dem Auftraggeber zu gefährlich wird – wird der Auftraggeber mittels Gesetz zum Arbeitgeber, haftet er zum Beispiel auch  für die Beiträge zur Sozialversicherung und Lohnsteuer.
Als weitere Absicherung wird eine Informationspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer (§ 11 AÜG-RefE) eingeführt: Der Verleiher muss den Leiharbeitnehmer vor jeder Überlassung darüber informieren, dass er als Leiharbeitnehmer tätig wird.

3.3. Was bedeutet die Neuregelung für die Arbeitnehmer?
Es lohnt sich für die Arbeitnehmer, die Schein-Werkverträge und Schein- Dienstverträge zu enttarnen. Sie erhalten die Möglichkeit, einen festen Arbeitsplatz zu erstreiten.

3.4. Wie kann der Arbeitnehmer eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung enttarnen?
Kann der Arbeitnehmer beweisen, dass er in die Betriebsorganisation des auftraggebenden Unternehmens eingegliedert ist und von den dortigen Mitarbeitern Weisungen zu Ort, Zeit und Art und Weise seiner Tätigkeit bekommt, dann liegt Leiharbeit vor. Dann ist es egal, was die schriftlichen Verträge besagen: Die tatsächliche Durchführung hat stets Vorrang, wenn sich der Vertrag und die praktische Durchführung widersprechen.

 

4. Änderungen, die für Betriebsräte der Entleihunternehmen wichtig sind
Die anstehenden Änderungen betreffen auch die Betriebsräte der Entleihunternehmen. Dabei wird der Gesetzgeber an vielen Stellen aber kaum über das hinausgehen, was die Rechtsprechung den Betriebsräten nicht ohnehin schon zugestanden hat.

4.1. Werden die Leiharbeitnehmer künftig wie eigene Arbeitnehmer mitgezählt?
Ja, für die sog. betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte“ werden die Leiharbeitnehmer mitgezählt (Ausnahme: § 112 a BetrVG) . § 14 Abs. 2 AÜG-RefE legt fest, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Das Mitzählen erstreckt sich auch auf  die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung.

4.2. Erhalten die Betriebsräte neue Informationsrechte?
Nicht wirklich, es wird lediglich gesetzlich konkretisiert, was sich in der Rechtsprechung schon längst durchgesetzt hat.

Der Betriebsrat  ist hinsichtlich des Einsatzes von Fremdpersonal über den zeitlichen Umfang, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben zu unterrrichten. Zu den dem Betriebsrat vorzulegenden Unterlagen sollen auch die Verträge gehören, die dem Fremdpersonaleinsatz zugrunde liegen.

4.3. Erhalten die Betriebsräte echte Mitbestimmungsrechte beim Werkvertrag?
Nein, echte Mitbestimmungsrechte wie bei der Arbeitnehmerüberlassung, z. B. Bei personellen oder sozialen Angelegenheiten wird es bis auf weiteres nicht geben. Sofern die Werkvertragsunternehmen keine Betriebsräte haben, bleiben die Arbeitnehmer schutzlos.

4.4 Was gilt künftig bei Streikbrecher-Arbeit?

§ 11 Abs. 5 AÜG-RefE sieht vor, dass ein Beschäftigungsverbot für Leiharbeitnehmer besteht, wenn ein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Bislang besteht (nur) ein Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers, auf das er vom Zeitarbeitsunternehmen hinzuweisen ist; er kann dann frei entscheiden, ob er im bestreikten Betrieb arbeitet.
Da die Beschäftigung als solche verboten ist, können Betriebsräte dem Einsatz gemäß § 99 ff  BetrVG die Zustimmung verweigern und im Falle von groben Verstößen eine Unterlassung durchsetzen. Dies stärkt die Durchsetzungsfähigkeit von Tarifforderungen im Einsatzbetrieb.

4.5. Kann der Betriebsrat der Einstellung eines unbefristet überlassenen Leiharbeitnehmers widersprechen?

Bisher war die Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 BetrVG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG – Urteil vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 – möglich. Nach dem Gesetzentwurf wird dies neu zu verhandelnsein, weil nicht der Schutz der Stammbelegschaft, sondern der Schutz des einzelnen Leiharbeitnehmers im Vordergrund steht. Die Betriebsräte werden wieder bis zum Bundesarbeitsgericht gehen müssen.

4.6. Kann der Betriebsrat der Einstellung eines befristet überlassenen Leiharbeitnehmers widersprechen?

Eine Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 BetrVG ist berechtigt, wenn die avisierte (ununterbrochene) Überlassung dann voraussichtlich 18 Monate überschreitet. 

4.7. Kann der Betriebsrat des Entleihers nach 9 bzw. 12 Monaten die Eingruppierung eines Leiharbeitnehmers verlangen?

Nein, das wird keinen Erfolg haben. Zuständig für Entgeltfragen ist der Betriebsrat des Verleihers – so es denn einen gibt. Eine Eingruppierung kann der Entleiher-Betriebsrat aber verlangen, wenn ein Leiharbeitnehmer längers als 18 Monate im Einsatz ist (er wird dann ja von Gesetzes wegen zum Arbeitnehmer des Entleihunternehmens).

 

5. Die Neuregelungen zu Arbeitvertrag und Scheinselbstständigkeit
Der Gesetzentwurf enthält eine Neuregelung, die weit über den Bereich der Leiharbeit und des Werkvertrages hinausgeht. Mit dem neuen  § 611 a BGB soll eine Vorschrift mit enormer praktischer Bedeutung für das Arbeitsrecht und für das Sozialversicherungsrecht geschaffen werden.

5.1. Was lautet der neue § 611a BGB-RefE genau?
Der Entwurf lautet:

„§ 611a
Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag
(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend.

(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand

a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder
seinen Arbeitsort zu bestimmen,
b. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem
anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu
erbringen,
g. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten
Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
h. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

(3) Das Bestehen eines Arbeitsvertrages wird widerleglich vermutet, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.

5.2. Was ist der wesentliche Regelungsinhalt des § 611 a Abs. 1?
Absatz 1 enthält eine Definition des Begriffes Arbeitsleistungen und stellt klar, dass die Erbringung von Arbeitsleistungen zu einem Arbeitsvertrag  führt; egal was schriftlich vereinbart worden ist. Die Definition der Arbeitsleistung folgt dem allgemeinen Obersatz, der von der Rechtsprechung verwendet wird. Maßgebend sind danach die Eingliederung in den Betrieb und die Weisungsabhängigkeit.

5.3. Was ist der wesentliche Regelungsinhalt des § 611 a Abs. 2?
Absatz 2 enthält einen Kriterienkatalog, der den Anwendungsbereich von Arbeitsverträgen erheblich ausweitet und denjenigen von Werk- und Dienstverträgen einschränkt. Es werden Kriterien einbezogen, die von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zuletzt vernachlässigt worden sind. So gewinnt vor allem die Frage an Bedeutung, inwieweit ein vermeintlicher Auftragnehmer wirklich unternehmerisch tätig ist und als solcher am Markt auftritt. Diese Kriterien wurden zuletzt nur in der sozialrechtlichen Prüfung herangezogen, wo es darum geht, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt.

5.4. Was ist der wesentliche Regelungsinhalt des § 611 a Abs. 3?
Konsequent und geradezu revolutionär ist der Entwurf in Absatz 3, nach dem ein Arbeitsverhältnis immer dann vermutet werden soll, wenn in einem Statusverfahren nach § 7a SGB IV eine versicherungspflichtige Beschäftigung festgestellt wird.

Über diese Regelung werden zusätzlich zu Absatz 2 jene Kriterien gestärkt, die im Verlaufe der letzten zwei Jahrzehnte von der Arbeitsrechtsprechung aufgeweicht worden sind. Es geht bei der Prüfung der Rentenversicherungsträger schwerpunktmäßig darum, ob und inwieweit eine wirklich selbständige Tätigkeit im Sinne eines unternehmerischen Tuns und Auftretens am Markt festgestellt werden kann (siehe 5.3.).

Der Gesetzgeber schafft damit eine Regelung, die das Auseinanderdriften zwischen sozialrechtlicher und arbeitsrechtlicher Beurteilung verhindert und eine einheitliche Betrachtungsweise ermöglicht. Wer im Sinne des § 7 Abs. 1 abhängig beschäftigt ist, ist von wenigen Ausnahmen abgesehen Arbeitnehmer.

5.5. Weshalb profitieren Arbeitnehmer/Scheinselbstständige vom § 611 a Abs. 3 BGB-E?
Die Prüfung, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, kann in das Statusverfahren des § 7 a verlegt werden. Dort kommt dem Arbeitnehmer/Scheinselbstständigen zugute, dass eine selbständige Beschäftigung erheblich höhere Hürden hat (siehe 5.3. und 5.4.). Die Ermittlungen werden seitens der Rentenversicherung durchgeführt, sodass Probleme mit der Beweisführung deutlich abgemildert werden. Das Statusverfahren aus § 7a wird insgesamt deutlich aufgewertet, und es ist künftig davon auszugehen, dass die Arbeitsgerichte mit den Erkenntnissen des sozialgerichtlichen Verfahrens arbeiten werden.

5.6 Welchen Einfluss hat der Kriterienkatalog auf die Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkvertrag?

Der Gesetzgeber orientiert sich zwar – wie bei der Abgrenzung Leiharbeit/Werkvertrag – an den Begriffen „Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation“ und „Weisungsabhängigkeit“. Allerdings – dies machen  § 611 a Absätze 1 und  3 BGB deutlich – zielt der Kriterienkatalog auf die Überprüfung der Solo-Selbstständigkeit. Ob und inwieweit die Rechtsprechung eine neue Gewichtung der Abgrenzungskriterien für den Bereich der Leiharbeit vornimmt, bleibt abzuwarten.

 

6. Wie geht das Gesetzgebungsverfahren jetzt weiter?

Der Entwurf durchläuft jetzt noch einige Stationen innerhalb der Bundesregierung, bevor er vom Kabinett verabschiedet und als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht wird. Der Kabinettsbeschluss soll bis Ende des Jahres vorliegen. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten.

Sowohl die Arbeitgeberseite als auch die Gewerkschaften haben Kritik an dem Entwurf geübt. Ein gutes Indiz dafür, dass es nicht mehr viele Änderungen geben wird.