VW-Käufer aufgepasst: Landgericht München gewährt Schadensersatz

Für unsere Leser, die vom VW-Abgasskandal betroffen sind, folgende aktuelle Info:

Das Landgericht München I – Urteil vom 14.04.2016 – 23 O 23033/15 hat dem Käufer eines Seat-Diesel (Motor Typ EA 189) die Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich Nutzungsentschädigung) und den Ersatz seiner sonstigen Kosten (Zulassung, Garantieverlängerung, Zusatzausstattung) zugesprochen. Eine Frist zur Nachbesserung von über 6 Monaten brauche der Kläger nicht hinzunehmen, so das Gericht, das überdies zahlreiche weitere Argumente liefert, weshalb im konkreten Fall ein Schadensersatzanspruch besteht.

Achtung: Das Gericht betont, dass die Umstände des Einzelfalles bewertet wurden. So habe dem Händler im vorliegenden Fall die arglistige Täuschung des Herstellers zugerechnet werden können.

Nachfolgend die wichtigsten Passagen der Urteilsbegründung im Volltext:

I.

1. Der Kläger hat den Kaufvertrag mit Schriftsatz vom 02.03.2016 wirksam angefochten wegen arglistiger Täuschung der Beklagten.

Jedenfalls muss sich die Beklagte aber aus Gründen des Rechtsscheins als 100%-ige Konzerntochter behandeln und das Wissen der … AG zurechnen lasse. Die
Beklagte hat durch ihr Auftreten besonderes Vertrauen als Konzerntochter in Anspruch genommen. Dabei kann dahinstehen, ob hierfür der Auftritt als S.
Vertragshändler mit prominenter Verwendung des … Logos im Auftritt ihrer Geschäftsräume ausreicht (vgl. Foto Anlage K 6 (2). Jedenfalls aber wirbt die
Beklagte in ihrem Internetauftritt unter der Überschrift „Gemeinsame Wurzeln“ wie folgt:

„Seit 1. März 2011 ist die P. eine 100%-Tochter der … AG und somit Teil des erfolgreichsten europäischen Automobilherstellers.“

Damit hat die Beklagte bewusst nach außen werbend besonderes Vertrauen als 100%-igeV. tochter in Anspruch genommen. Daran muss sie sich nun auch
festhalten, soweit die … AG bewusst unrichtige Angaben zu Schadstoffemissionen des streitgegenständlichen Motors gemacht hat, die unstreitig
Gegenstand der Anpreisungen des Verkaufsmitarbeiters der Beklagten waren. Diese waren auch unstreitig mitursächlich für die Kaufentscheidendung des Klägers. Dies
gilt umso mehr, als der Verkäufer der Beklagten unbestritten als seit Jahren von V… erprobt beworben hat. Nach dem objektiven Empfängerhorizont lag damit keine
bloße Bezugnahme auf Herstellerangaben vor, deren Richtigkeit sich der Kenntnis der Beklagten entzog, sondern die Beklagte machte die Herstellerangaben als 100%-ige
… Tochter und damit Mitglied des „Unternehmens … “ bzw. des … Konzerns“.

2. Der Anfechtung steht auch nicht das Ausmaß des Mangels entgegen. Unabhängig davon, dass der Mangel nicht unerheblich ist, kommt es für die Anfechtung nur auf die
Täuschung und deren Ursächlichkeit bei der Willensbildung an. Im Übrigen wäre es treuwidrig von der Beklagten, zunächst die Schadstoffemissionen des Fahrzeuges als
besonderes Verkaufsargument heranzuziehen, und dann der Anfechtung entgegenzuhalten, dass die ihr zurechenbare gezielte Manipulation der gemessenen
Schadstoffwerte unerheblich wäre.

3.  Als Folge der Anfechtung hat der Kläger zunächst Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlicehn Fahrzeugs
unter Abzug des von ihm gezogenen Gebrauchsvorteil. Letzteren schätzt das Gericht angesichts der erfolgten Laufleistung von 27.359 km bei einer nach Schätzung des
Gerichts aufgrund der allgemein bekannten grundsätzlichen Langlebigkeit von Dieselmotoren zu erwartenden Laufleistung von 300.000 km auf 1.594,89 €.

4. Der Kläger hat auch Anspruch auf Ersatz der weitergehenden Schäden einschließlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1,
282 BGB aufgrund der arglistigen Täuschung der Beklagten.

II.
Im Übrigen hätte der Kläger auch einen nachrangigen Anspruch auf Ersatz in gleicher Höhe, weil er wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten ist, §§ 434 Abs. 1 Satz 1, 437, 440, 323
BGB.

1. Unstreitig waren die Angaben zum Schadstoffausstoß objektiv unrichtig, weil jedenfalls der Stickoxidausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeuges höher ist als
bei Vertragsschluss als Beschaffenheit vereinbart war.

2. Es ist bereits zweifelhaft, ob eine erfolgreiche Nachbesserung überhaupt möglich ist. Insbesondere trägt die Beklagte nicht vor, dass die von den Parteien hier getroffene
Beschaffenheitsvereinbarung von ihr im Rahmen einer Nachbesserung erreicht werden kann. Sie macht lediglich geltend, dass die … AG das Ziel verfolge, durch die Umsetzung der geplanten

Maßnahmen die Motorleistung, den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen nicht zu verändern. Ob dies gelingen wird, ist damit auch nach dem Beklagtenvortrag offen. Eine bloße Absichts-

oder Zielerklärung reicht hierfür nicht aus.

3. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil jedenfalls eine angemessene Frist zur Nachbesserung ungenutzt verstrichen ist, § 323 Abs. 1 BGB.
In Anbetracht der Umstände dürfte zwar die ursprünglich von dem Kläger mit Schreiben vom 29.10.2015 gesetzte Frist von rund zwei Wochen zu knapp bemessen
gewesen sein. Dies führt aber nur zur Ingangsetzung einer angemessenen Frist. Im Rahmen von § 308 BGB ist eine Nachbesserungsfrist von mehr als 6 Wochen oder
mehr als 2 Monaten als Verstoß gegen die grundsätzliche gesetzgeberische Wertung unzulässig (vgl. Palandt/Grüneberg, 74. Auflage 2015, § 308 Rdnr. 13). Diese Frist
hat die Beklagte ungenutzt verstreichen lassen.

Jedenfalls ist aber eine Frist von über einem halben Jahr nach der freien Überzeugung des Gerichts auf keinen Fall mehr angemessen. Selbst mit Schriftsatz
vom 04.05.2016 (dort Bl. 75 d. A.) hat die Beklagte lediglich vorgetragen, dass der Beginn der technischen Maßnahmen an dem streitgegenständlichen Motortyp für die
39. Kalenderwoche vorgesehen sei. Mit einer Mangelbeseitigung wäre damit frühestens am 26.09.2016 zu rechnen, ohne dass die Beklagte – die gleichzeitig die
hohe Anzahl der betroffenen Fahrzeuge betont – einen konkreten Termin für das streitgegenständliche Fahrzeug benennt.

Eine Nachbesserungsfrist von mehr als sechs Monaten oder hier fast einem Jahr (beiDurchführung gleich zu Beginn der Maßnahme in der 39. Kalenderwoche) ist aber mit 
der gesetzgeberischen Grundentscheidung zur Kaufgewährleistung im allgemeinen und dem Verbraucherkauf im besonderen auch unter Berücksichtigung der hier
vorliegenden besonderen Umstände nicht mehr vereinbar. Das Kaufrecht ist – gerade für Verbraucher – auf eine zeitnahe Regulierung von Gewährleistungsrechten
ausgerichtet. Dies gilt auch für das Nachbesserungsrecht des Verkäufers. Der Gesetzgeber verfolgt damit sowohl die Gewährung effektiver Gewährleistungsrechte
als auch die zeitnahe Herbeiführung von Rechtsfrieden. Dies zeigt sich insbesondere an der verkürzten Verjährungsfrist von 2 Jahren ab Ablieferung der Sache. Ohne den
Verjährungsverzicht der Beklagten wären daher vorliegend Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag vom 28.05.2014 mit Auslieferung im August 2014 im Zeitpunkt des mitgeteilten frühest

möglichen Nachbesserungstermins im September 2016 bereits verjährt.

4. Die Pflichtverletzung ist unter Würdigung aller Umstände auch nicht unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB.
Die Erheblichkeitsprüfung nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB erfordert eine umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind vor allem der für die Mangelbeseitigung
erforderliche Aufwand, aber auch die Schwere des Verschuldens des Schuldners, wobei bei Arglist eine unerhebliche Pflichtverletzung in der Regel zu verneinen ist. Der
Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung indiziert die Erheblichkeit (Palandt/Grüneberg, 74. Auflage 2015, § 323 Rdnr. 32). Nach diesen Grundsätzen,
die sich das Gericht vollumfänglich zu eigen macht, liegt im streitgegenständlichen Fall kein unerheblicher Mangel im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB vor.
Danach ist der Aufwand der Mangelbeseitigung nicht allein maßgeblich. Nach der freien Überzeugung des Gerichts ist aber bereits der Aufwand vorliegend auch bei
Unterstellung des Beklagtenvortrages als richtig nicht unerheblich. Zwar trägt die Beklagte vor, die Durchführung der Mangelbeseitigung werde nur ca. 1 Stunde dauern
und weniger als 100,00 € kosten. Bei der Frage des Aufwandes kann aber die eigentliche Durchführung nicht isoliert betrachtet werden. Für die technische
Vorbereitung der beabsichtigten Mangelbeseitigung ist vorliegend aber nach dem Beklagtenvortrag ein Vorlauf von fast einem Jahr erforderlich. Erst dann soll der
Mangel innerhalb einer knappen Stunde behoben werden können. Es handelt sich daher offensichtlich nicht um eine einfache technische Maßnahme, die kurzfristig und
ohne weitere Vorbereitungen hätte vorgenommen werden können.

Hinzu kommt, dass die Mangelbeseitigung hier nicht im Belieben der Beklagten stand.
Vielmehr musste der Hersteller nach dem Beklagtenvortrag hierfür zunächst die Genehmigung des Kraftfahrtbundesamtes einholen. Eine Mangelbeseitigungsmaßnahme, die der vorherigen

behördlichen Prüfung und Genehmigung bedarf, ist aber ebenfalls nicht als unerheblich anzusehen. Zudem haben die Parteien vorliegend eine Beschaffenheitsvereinbarung über den
Schadstoßausstoß gemäß Herstellerangaben getroffen, der von der Beklagten ausdrücklich zugesichert wurde. Wie bereits ausgeführt, indiziert ein solcher Verstoß gegen eine

Beschaffenheitsvereinbarung bereits für sich genommen die Erheblichkeit des Mangels im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Die Beschaffenheitsvereinbarung hat nach der gesetzgeberischen

Wertung gerade besonderes Gewicht. Zudem steht es dem Verkäufer frei, ob und in welchem Umfang er bestimmte Eigenschaften zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung
oder Zusicherung macht und damit eine besondere Einstandspflicht übernimmt. Insofern besteht auch ein gewisser Widerspruch, wenn die Beklagte einerseits den
geringen Schadstoffausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeuges besonders hervorhebt und anpreist, andererseits aber Abweichungen davon als unbeachtlich
bezeichnet.

Hinzu kommt, dass hinsichtlich des Mangels eine der Beklagten zuzurechnende arglistige Täuschung vorliegt. Auf die vorstehenden Ausführungen unter I. wird
insofern vollumfänglich Bezug genommen. Auch dies führt bereits für sich genommen dazu, dass der Mangel nicht als unerheblich zu werten ist.
Schließlich kann die Beklagte auch nicht sicher sagen, ob die geplanten technischen Maßnahmen tatsächlich erfolgreich und ohne Nebenwirkungen sein werden. Sie
verweist lediglich auf das entsprechende Ziel der … AG. Nach dann rund einem Jahr Wartezeit nach Fristsetzung muss sich der Käufer aber nicht auf eine
bloße Absichtserklärung verlassen. Hinzu kommt, dass jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 14.04.2016 noch keine Genehmigung des
Kraftfahrtbundesamtes für die geplante Mangelbeseitigung vorlag.

Schließlich ist derzeit noch nicht absehbar, ob und in welchem Umfang sich aufgrund des Mangels bzw. des sog. Abgasskandals ein merkantiler Minderwert des
streitgegenständlichen Fahrzeuges realisieren wird. Der sog. Abgasskandal ist Gegenstand breiter öffentlicher Wahrnehmung und Diskussion, einschließlich der
Nachbesserungsversuche von Herstellerseite. Dies zeigt nicht zuletzt der vom Kläger vorgelegte Pressetest zu einem möglichen Mehrverbraucht bei Fahrzeugen vom Typ
V. nach Nachbesserung. Bereits das Bestehen eines naheliegenden  Risikos eines bleibenden merkantilen Minderwerts führt aber dazu, dass der Mangel
nicht als unerheblich angesehen werden kann.

Danach ist der streitgegenständliche Mangel bereits aus mehreren Gründen für sich genommen nicht unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Jedenfalls ist er
bei einer Gesamtbetrachtung der vorstehenden Gründe nicht unerheblich. Ob die Mangelbeseitigung zu einem Mehrverbrauch von 0,5 Litern auf 100 km führen
würde, bei einer Restlaufleistung auch nach dem Beklagtenvortrag von über 200.000 km also auch wenigstens 1.000,00 €, kam es daher bereits nicht mehr an.