Stellungnahme der BRAK zum Gesetzentwurf Leiharbeit – Not in My Name

Unabhängig, verschwiegen und loyal – so stellt die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) uns Anwälte in der Öffentlichkeit dar. Sich selbst sieht die BRAK als „starke Interessenvertretung“, die sich unter anderem in laufenden Gesetzgebungsverfahren engagiert: „Die BRAK beobachtet Rechtsentwicklungen, die die Stellung der Anwaltschaft in der Gesellschaft, den Beruf des Rechtsanwaltes und die anwaltliche Tätigkeit betreffen, aufmerksam und erhebt, wenn nötig, vernehmlich ihre Stimme.“

Jetzt hat der Arbeitsrechtsausschuss der BRAK seine Stimme erhoben. Zum Regierungsentwurf Leiharbeit und Werkverträge wurde eine 11-seitige Stellungnahme verfasst, die eine Vielzahl „verfassungsrechtlicher Bedenken“ enthält. Sie mündet ein in die Empfehlung

  • die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens 18 Monate ganz aufzuheben oder jedenfalls in Übereinstimmung mit dem Befristungsrecht zu verlängern.
  • eine Tariföffnungsklausel für alle Branchen zur Höchstüberlassungsdauer vorzusehen und die einzelvertragliche Bezugnahme auf entsprechende Tarifverträge auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber zuzulassen.
  • die Sanktionen für Verstöße gegen die Höchstüberlassungshöchstdauer und das Equal-Pay-Gebot verhältnismäßig auszugestalten und nicht für jeden Verstoß bereits ein faktisches Berufsverbot in Form des Entzugs der Überlassungserlaubnis vorzusehen.
  • die Regelungen zum Einsatz von Zeitarbeitnehmern bei Streik zu streichen und es bei der geltenden gesetzlichen Regelung zu belassen

Der Verfasser dieses Blogs legt Wert auf die Feststellung, dass er sich den „Empfehlungen“ des Arbeitsrechtsauschusses in keinem der vorstehenden Punkte anschließen möchte.

Mögen die Mitglieder der Ausschusses auch demokratisch legitimiert sein und das Recht der freien Meinungsäußerung für sich in Anspruch nehmen: Die BRAK wird ihrer Stellung als Vertreterin der Anwaltschaft nicht gerecht, wenn sie derartige „Empfehlungen“ abgibt. Die Bewertung des Gesetzentwurfs kommt einseitig daher und macht sich die Argumentation jener Interessenvertreter zu eigen, die jedwede gesetzliche Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen für schädlich halten.

Für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Positionen ist an dieser Stelle kein Platz. Erinnert sei jedoch daran, dass die Arbeitnehmerüberlassung zum Schutz der Arbeitnehmer als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet wurde; in Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 21, 261). Der Weg zur Verfassungswidrigkeit dürfte deshalb deutlich weiter sein, als es die Stellungnahme vermuten lässt.

Dem Verfasser ist nicht bekannt, dass die Mitglieder des Arbeitsrechtsausschusses über eine besondere Expertise im Verfassungsrecht verfügen. Hätte sich die Stellungnahme da nicht besser auf die möglichen Probleme der Rechtsanwendung konzentrieren sollen? Beispielsweise betreffend die Ermittlung des Equal-Pay-Referenzgehaltes? Oder betreffend das Verhältnis der Neureglungen zur EU-Richtlinie 2008/104/EG bzw. zur jüngsten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Stichwort „vorübergehend“)?

Die Stellungnahme wäre sicherlich fundierter ausgefallen. Und neutraler dazu.

Hier die Zusammenfassung der Stellungnahme im Volltext:

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) nimmt wie folgt Stellung zu dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom
02.06.2016 – nachfolgend Regierungsentwurf:

Die Stellungnahme beschränkt sich erstens auf verfassungsrechtliche Aspekte und zweitens dabei auch auf die Aspekte, die für die BRAK am Wesentlichsten sind.

A.
Zusammenfassung

Die BRAK hat erhebliche Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit des Regierungsentwurfs aus folgenden zusammengefassten Gründen:

1. Die Begrenzung der Überlassungsdauer auf (grundsätzlich) höchstens 18 Monate erscheint verfassungswidrig, erstens weil diese Maßnahme des Gesetzgebers gemessen an den gesetzgeberischen Zielen (Schutz der überlassenen Arbeitnehmer oder der „Stammbelegschaft“) bereits ungeeignet ist, zweitens ist die Maßnahme aber auch nicht erforderlich und unverhältnismäßig und greift  deshalb verfassungswidrig in die Grundrechte der unternehmerischen Freiheiten ein.

2.
Die für die Höchstüberlassungsgrenze vorgesehene Öffnungsklausel erscheint ebenfalls verfassungswidrig in der aktuellen Fassung. Denn die Öffnungsklausel ist nach den bisherigen arbeitsrechtlichen Regeln bereits untauglich, weil die Arbeitsverhältnisse der Zeitarbeitnehmer von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen der Entleiherbranche bzw. Kunden nicht erfasst werden können. Unabhängig davon verstößt die Öffnungsklausel deshalb gegen Grundrechte, weil sie die Tarifpartner der Zeitarbeit von der Tariföffnung ausschließt und außerdem auch die verschiedenen Gruppen der Kundenbetriebe ungerechtfertigt ungleich behandelt.

3. Die strikte und ausnahmslose Vorgabe von Equal Pay nach spätestens fünfzehn Monaten Überlassung an einen Entleiher/Kunden erscheint verfassungswidrig, weil sie gemessen an den gesetzgebe-
rischen Zielen ungeeignet, aber zumindest nicht erforderlich, somit unverhältnismäßig ist.

4. Im Gesamtkonzept des Regierungsentwurfs steht das Equal-Pay-Gebot auch im Widerspruch zu der Regelung der Höchstüberlassungsdauer; auch widersprüchliche Gesetzgebung ist aber verfassungswidrig, zumal bei widersprüchlichen Vorgaben innerhalb eines Gesetzes und gemessen an denselben gesetzgeberischen Zielen.

5. Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die im Regierungsentwurf vorgesehen Sanktionen, insbesondere z. B. wenn bereits ein einmaliger Verstoß gegen die
Höchstüberlassungsdauer oder den Equal-Pay-Grundsatz zwingend zum Entzug der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis führen muss und somit für den Personaldienstleister einem Berufsverbot
gleichkommt.

6. Schließlich ist das Verbot des Streikbrechereinsatzes in der vorgesehenen Fassung verfassungswidrig, weil der Staat damit unter Verletzung seiner Neutralitätspflicht überlassene Arbeitnehmer (und die Verleiher-Arbeitgeber) zur faktischen Unterstützung eines Streiks im Entleiher-/Kundenunternehmen zwingt. Soweit auch Arbeitnehmer nicht mehr im bestreikten Betrieb arbeiten dürfen, die bereits vor Beginn des Streiks dorthin überlassen waren, ordnet der Gesetzgeber für sie einen Streikzwang an und verletzt damit massiv ihre Grundrechte.

7. Sollte das Gesetzesvorhaben trotz der vorstehend dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken weiterverfolgt werden, schlägt die BRAK folgende Änderungen vor:

– die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens 18 Monate ganz aufzuheben oder jedenfalls in Übereinstimmung mit dem Befristungsrecht zu verlängern.

– eine Tariföffnungsklausel für alle Branchen zur Höchstüberlassungsdauer vorzusehen und die einzelvertragliche Bezugnahme auf entsprechende Tarifverträge auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber zuzulassen.

– die Sanktionen für Verstöße gegen die Höchstüberlassungshöchstdauer und das Equal-Pay-Gebot verhältnismäßig auszugestalten und nicht für jeden Verstoß bereits ein faktisches Berufsverbot
in Form des Entzugs der Überlassungserlaubnis vorzusehen.

– die Regelungen zum Einsatz von Zeitarbeitnehmern bei Streik zu streichen und es bei der geltenden gesetzlichen Regelung zu belassen

Nachfolgend die Mitglieder des Arbeitsrechtsausschusses:

RA Dr. Georg Jaeger, Vorsitzender  – Schilling, Zutt und Anschütz
RA Dr. Ulrich Boudon    – Heuking Kühn Lüer Wojtek
RA Dr. Hermann Heinrich Haas – ESC – Esche Schümann Commichau
RAin Angela Leschnig –    – Leschnig & Coll
RA Igor Münter    – Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht
RA Dr. Peter Rambach    – Dr. Fettweis & Sozien
RA Dr. Thomas Weckbach   – Seitz Weckbach Fackler & Partner
RA Ralph Stichler    – Kanzlei Niebergall Weihrauch Walter
RA Marc André Gimm    – Taylor Wessing
RA Dr. Stefan Sasse –    – Göhmann Rechtsanwälte Notare
RAin Dr. Gerlind Wisskirchen   – CMS Hasche Sigle
RAin Dr. Anja Mengel, LL.M.   – Altenburg Rechtsanwälte