Dem aus öffentlichen Mitteln der Stadt Hamburg geförderten Projekt „FIRMENHILFE – Beratung für Selbstständige“ hat RA Holger Thieß zwei Interviews zum Problemfeld „Scheinselbständigkeit“ gegeben. Als „Expertentipps“ werden diese in Kürze auf dem Youtube-Channel der FIRMENHILFE verfügbar sein.
Nachfolgend die beiden Interviews zum Anschauen und im Wortlaut zum Nachlesen:
Expertentipp 1 (Allgemeines zur Scheinselbständigkeit):
Was ist überhaupt Scheinselbständigkeit?
Scheinselbständigkeit heißt, wie der Name schon sagt, dass sich das, was schriftlich vereinbart ist oder nach außen hin dargestellt wird, beim Blick hinter die Kulissen gar nicht als wahr herausstellt, weil der Selbständige in Wahrheit dann als Arbeitnehmer tätig wird. Ob das der Fall ist, das ist häufig nicht ganz einfach zu ermitteln. Da gibt es eine Vielzahl von Prüfkriterien – wichtige und weniger wichtige Prüfkriterien – und da muss man immer auf den Einzelfall schauen.
Die Rolle des Vertrags
Der Vertrag zwischen dem Auftragnehmer und dem Auftraggeber hat natürlich eine hohe Bedeutung, denn da steht drin, was Sie als Unternehmer machen müssen. Aber Achtung: Häufig ist es so, dass das was in dem Vertrag steht, in der Praxis dann gar nicht gelebt wird. Und wenn das auseinander fällt, gilt das, was in der Praxis wirklich passiert – dann ist der Vertrag praktisch ohne Bedeutung.
Es gibt keine eindeutige Antwort (Einzelfallentscheidung)
Leider kann man nie eindeutig sagen, ob jemand tatsächlich selbständig oder scheinselbständig ist. Das Problem ist: man muss immer auf den Einzelfall gucken, immer auf den einzelnen Auftrag, immer auf die einzelne Tätigkeit, und es greifen eine Vielzahl von Kriterien, die dann gegeneinander abgewogen werden. Man kann sich dieser Lösung annähern, wenn man sich die Prüfkriterien näher anschaut und dazu habe ich einen gesonderten Beitrag gemacht.
Konsequenzen der Scheinselbständigkeit
Die Konsequenzen der Scheinselbständigkeit machen sich vor allen Dingen bemerkbar im Sozialversicherungsrecht. Speziell beim Rentenrecht und beim Krankenversicherungsrecht. Da ist der Scheinselbständige jetzt auf einmal – in aller Regel zumindest – pflichtversichert und Beiträge müssen nachbezahlt werden.
Weitere Komplikationen ergeben sich im Steuerrecht. Wer als Unternehmer Geld bekommt, für den gelten andere steuerliche Regeln, als für einen Arbeitnehmer, der eine Vergütung bekommt. Auch das müsste rückabgewickelt werden.
Das größere Problem hat eigentlich der Auftraggeber, denn der wird meistens zur Kasse gebeten. Aber für den Scheinselbständigen hat das in den allermeisten Fällen dann auch zur Konsequenz, dass er seinen Auftrag verliert und dass er dann eben auch keine Vergütung mehr bekommt.
Sonst noch ein Tipp?
Wenn ich Ihnen noch einen Tipp geben darf: Schauen Sie sich meinen zweiten Expertentipp an. Da befasse ich mich näher mit den Prüfkriterien. Wenn Sie dann immer noch nicht klarkommen bzw. unsicher sind, dann denken Sie darüber nach einen Anwalt zu beauftragen. Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung.
Expertentipp 2 (Die Prüfkriterien zur Scheinselbständigkeit)
Weisungsgebundenheit
Weisungsgebunden ist derjenige, der in örtlicher Hinsicht, zeitlicher Hinsicht und bei der Art und Weise wie er seine Arbeit macht, genau das machen muss, was der Auftraggeber ihm sagt. Wenn er also zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten zu erscheinen hat, und ihm auch im Einzelnen und im Detail gesagt wird, wie er seine Arbeit zu machen hat, dann ist er weisungsgebunden.
Eingliederung in den Betrieb
In den Betrieb ist der- oder diejenige eingegliedert, der ein festes Büro bei dem Kunden hat,
wer womöglich eine eigene E-Mailadresse hat, ein eigenes Namensschild, wer an Dienstbesprechungen teilnimmt und von außen her wie ein normaler Mitarbeiter des Unternehmens, wo er im Einsatz ist, wahrgenommen wird.
Leistungserbringung nur in eigener Person
Der Auftraggeber möchte häufig, dass gerade der Selbständige die Arbeit erledigt. Das ist manchmal ein bisschen problematisch, weil die Leistungserbringung nur in eigener Person ein Indiz gegen die Selbständigkeit sein kann. Ein Unternehmer kann seine Arbeit auch typischerweise dadurch erbringen, dass er seinerseits Leute beauftragt. Insbesondere bei Urlaub oder bei Erkrankung. Deshalb Vorsicht: Wenn nur in eigener Person die Leistung erbracht werden kann, dann ist das zumindest ein Kriterium gegen die Selbständigkeit.
Verpflichtungen, angebotene Aufträge zu übernehmen
Ein Arbeitnehmer, der muss stets und ständig das machen, was der Arbeitgeber ihm sagt. Das ist bei einem Selbständigen anders: Er hat typischerweise das Recht, auch mal einen Auftrag oder bestimmte Arbeitszeiten zu verweigern. Wenn Sie als Selbständiger nicht die Möglichkeit haben, Arbeit auch mal liegenzulassen oder auf später zu verschieben, dann ist das ein Indiz gegen die Selbständigkeit.
Unternehmerisches Auftreten/Kapitaleinsatz
Das ist ein ganz wichtiges Kriterium! Denn das ist die Sache auf die die Rentenversicherung ganz besonders schaut. Sie wollen sehen, dass man ein eigenes Büro, einen eigenen Webauftritt, eigene Visitenkarten, Werbung und vielleicht auch eigene Anschaffungen getätigt, also Kapital eingesetzt, hat. All das sind Kriterien für eine Selbständigkeit. Wer all das nicht hat oder so gut wie gar nicht hat, der läuft Gefahr, als Scheinselbständig anerkannt zu werden.
Einheitliche Behandlung mit Arbeitnehmern
Also wer als Selbständiger genauso behandelt wird wie Arbeitnehmer in dem Auftragsunternehmen, der läuft sehr große Gefahr als scheinselbständig anerkannt zu werden. Das ist ein ganz schweres Indiz gegen die Selbständigkeit, wenn man praktisch das gleiche macht, wie die Arbeitnehmer, die mit einem zusammenarbeiten.
Aufnahme in den Dienstplan
Aufgenommen in Dienstpläne werden typischerweise Arbeitnehmer. Die Arbeitgeber sagen die Arbeitnehmern wo sie wann zu arbeiten haben. Wenn man als Selbständiger in so einen Plan aufgenommen wird, dann ist dies eher ein Indiz dafür dass man abhängig bzw. als Arbeitnehmer beschäftigt ist und das sollte tunlichst vermieden werden, wenn man als Selbständiger anerkannt bleiben möchte.
Berichterstattungspflicht
Also wer als Selbständiger über seine Arbeit ständig Berichte abgeben muss, z. B. per E-Mail oder Memos und jeden Handschlag sozusagen dokumentieren muss, der läuft Gefahr als Scheinselbständiger anerkannt zu werden. D. h. nicht, dass man in einem Auftrag gar keine Berichte abgeben darf oder sollte, das ist damit nicht gemeint. Aber diese kleinteilige Berichterstattung und diese kleinteilige Kontrolle die sollte vermieden werden.
Sonst noch ein Tipp?
Was ich empfehlen würde ist, auf die Seiten der Deutschen Rentenversicherung zu gehen und sich dort das Formular, das zu dieser Statusprüfung bereitgestellt wird, herunterzuladen und sich die Anmerkungen dazu durchzulesen und dann diesen Fragebogen mal zu beantworten und durchzugehen. Das hilft schon sehr weiter bei der Einschätzung, ob man wirklich richtig liegt mit der selbständigen Tätigkeit.