„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, so lautet die gesetzliche Vorgabe. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) regelt den Grundsatz, dass ein Leiharbeitnehmer von seinem Verleihunternehmen die gleichen Arbeitsbedingungen bekommen muss wie die fest angestellten Kollegen beim Entleihunternehmen.
Dass diese Praxis kaum zur Anwendung kommt, liegt an einer weiteren gesetzlichen Vorschrift (§ 8 Abs. 2 AÜG), welche die Ausnahme zur Regel macht: Wendet das Verleihunternehmen für seine Leiharbeitnehmer Tarifverträge an, wird die Gleichstellung ersetzt. In diesem Fall entfällt der oben genannte Grundsatz. Was dazu führt, dass die meisten Leiharbeitnehmer dann doch deutlich weniger als die Festangestellten verdienen.
Nun hat der Europäische Gerichtshof – Urteil vom 15.12.2022 – C-311/21 diese deutsche Regelung mit einem bahnbrechenden Urteil in Frage gestellt: Tarifverträge über Zeitarbeit (= Leiharbeit), so die europäischen Richter, dürfen nur dann ein geringeres Arbeitsentgelt als das Vergleichsentgelt im Entleiherbetrieb vorsehen, wenn sie diesen Nachteil durch gleichwertige Vorteile bei den übrigen Arbeitsbedingungen ausgleichen, namentlich bei Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub und arbeitsfreie Tage.
Die beteiligten Arbeitgeberverbände (BAP und iGZ) einerseits und die DGB-Gewerkschaften andererseits sind besorgt bzw. irritiert. Einen derartigen Ausgleich sehen die Tarifverträge nämlich nicht vor. Sind die geschlossenen Tarifverträge womöglich unwirksam? Müssen sie umgehend angepasst werden? Was mit den Lohnansprüchen aus der Vergangenheit? Für Mitte des Jahres erwarten die Beteiligten ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Aktenzeichen 5 AZR 143/19, das weitere Erkenntnisse liefern wird.
Leiharbeitnehmern ist einstweilen zu empfehlen, etwaige Nachzahlungsansprüche umgehend bei ihren Arbeitgebern geltend zu machen, um einem Verfall von Ansprüchen vorzbeugen.