Tarifverhandlungen Leiharbeit: Warum der DGB die Tarifverträge behalten möchte

 

In einer aktuellen Stellungnahme rechtfertigt der DGB-Bundesvorstand die Verhandlungen zum Abschluss eines Tarifvertrags in der Leiharbeit. Die dortigen Fragen und Antworten sind eine Reaktion auf gewerkschaftsinterne Kritiker, die einen Ausstieg aus den Tarifverträgen fordern.

Der DGB möchte das Gesetz des Handelns in der Hand behalten, solange eine Abweichung durch Tarifverträge gesetzlich vorgesehen ist. Die Angst vor Gefälligkeitstarifverträgen ist groß. Der hart erkämpfte Mindestlohn soll erhalten bleiben. Ebenso die gerade vereinbarten Branchenzuschläge.

Die Argumente sind bekannt und nicht unplausibel. Aber dennoch: Warum bloß - so fragen sich viele ratlose Mitglieder - gibt man sich weiterhin für Tarifverträge her, welche die Bezahlung verschlechtern!? Und das zugunsten einer Branche, die seit vielen Jahren öffentlich bekämpft wird!?

Wäre es nicht offener und ehrlicher, wenn der DGB den folgenden Frage-und-Antwort-Katalog veröffentlichen würde:

Warum werden die Tarifverträge nicht gekündigt?

Die Kündigung der Tarifverträge käme einer Kriegserklärung gleich. Wir sind nicht stark genug, diesen Konflikt erfolgreich zu Ende zu führen. Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, dann mach ihn dir zum Freund.

Wie stehen die Mitglieder zu dieser Haltung?

Die große Mehrheit der Mitglieder ist nicht persönlich betroffen. Und immerhin steigert eine günstige und praktikable Leiharbeit die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen und sichert dadurch die Stammarbeitsplätze.

Was ist mit den Interessen der Leiharbeitnehmer?

Das sind nur 3 Prozent aller Beschäftigten, und von denen sind die allermeisten gar nicht bei uns organisiert. Gemessen daran tun wir schon mehr als genug.

Und wie soll Equal Pay erreicht werden?

Da ist die Politik gefragt, die hat uns das Problem schließlich eingebrockt.

Spannung vor der Entscheidung des BAG: Ist die konzerninterne Dauerleihe noch erlaubt?

 

"Die Arbeitnehmerüberlassung durch eine konzernintere Personaldienstleistungsgesellschaft verstößt nicht gegen das AÜG." So lautet im Kern die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen - Urteil vom 03.05.2011 - 3 Sa 1432/10, die am 15. Mai 2013 beim BAG auf den Prüfstand kommt.

Zahlreiche Arbeitnehmer/innen eines konzerninternen Verleihunternehmens haben den "Entleiher" auf Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen. Das LAG hat seine Entscheidung nach alter Rechtslage getroffen und damit begründet, dass die konzerninterne Dauerleihe seit 2004 erlaubt sei.

Das BAG wird die neue Rechtslage ab dem 1. Dezember 2011 berücksichtigen müssen. Das heißt: Die konzerninterne Dauerüberlassung wird an § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und an der EU-Richtlinie 2008/104/EG zu messen sein.

Eine mit Spannung zu erwartende Entscheidung des 7. Senats (Aktenzeichen: 7 AZR 494/11)

Tarifverhandlungen Leih-/Zeitarbeit: Ohne Garantielohn kein neuer Tarifvertrag !

Die Aufnahme der Tarifverhandlungen in der Leih-/Zeitarbeit steht gewerkschaftsintern in der Kritik. Dennoch werden sich die Verhandlungsführer der Gewerkschaften wohl kaum von einem Neuabschluss abbringen lassen. Siehe dazu Argumente pro und contra.

Aus Sicht eines Arbeitnehmervertreters, der die Praxis der Tarifanwendung kennt, sollte der Neuabschluss eines Tarifvertrages von einem Punkt abhängig gemacht werden: Die Aushebelung des Garantielohn-Anspruches durch Arbeitszeitkonten muss beendet werden.

Die Forderung sollte lauten: Ohne Garantielohn kein neuer Tarifvertrag !

Wenn die Leiharbeitnehmer schon erheblich weniger Gehalt bekommen, dann muss dieses Gehalt auch in verleihfreien Zeiten gewährt werden. Nach der bisherigen tariflichen Praxis bezahlen die Leiharbeitnehmer ihre verleihfreien Zeiten durch vorherige und spätere Überstunden selbst, das muss aufhören. Die Kritiker sind gut beraten, ihr Engagement auf diesen Punkt zu konzentrieren.

 

Worum geht es?

Das Geschäftsprinzip der Leiharbeit basiert darauf, dass dem Leiharbeitnehmer stets eine Vergütung in tariflicher Höhe zusteht. Diese Vergütung ist in aller Regel erheblich geringer als die Vergütung der Stammarbeitnehmer im Einsatzbetrieb.

Der Lohn steht dem Leiharbeitnehmer auch zu, wenn ihm der Arbeitgeber keinen Einsatz zuweisen kann; ein Veleihunternehmen verfügt über keine eigenen Arbeitsplätze und ist auf die Nachfrage von Entleihunternehmen angewiesen. Gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG ist es dem Verleihunternehmen untersagt, jegliche Vereinbarungen zu treffen, die auf eine Verkürzung dieses Anspruches hinauslaufen. Deswegen wird der Lohn in verleihfreien Zeiten auch "Garantielohn" genannt.

Welche Rolle spielt das Arbeitszeitkonto?

Das Garantielohn-Prinzip schließt das Führen eines Arbeitszeitkontos nicht aus. Dementsprechend sind tarifvertraglichn Regelungen zum Arbeitszeitkonto nicht grundsätzlich zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben mit ihrer Regelung keine Vereinbarung entgegen § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG getroffen (so, wenn auch im Ergebnis falsch: LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.11.2011 - 7 Sa 567/11 sowie  LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2009- 17 Sa 4/09).

Der Grundsatz des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG  hat aber Auswirkungen darauf, wie das Arbeitszeitkonto zu führen ist. Die Handhabung des Arbeitszeitkontos darf nicht dazu führen, dass das „Garantielohnprinzip“ ausgehebelt wird (siehe LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.04.2008 - 10 Sa 19/08).

Was muss gelten?

Es muss grundsätzlich gelten: Kann der Arbeitgeber im maßgeblichen Referenzzeitraum, das heißt innerhalb eines Monats, nicht die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (idR 151,67 Stunden) zuweisen, so bleibt er einerseits zur Zahlung verpflichtet und darf andererseits – von Ausnahmen abgesehen – keine Abzüge im Arbeitszeitkonto vornehmen.

Sind dem Arbeitgeber die Abzüge erlaubt, so kommt im Ergebnis nicht er selbst, sondern der Arbeitnehmer für die Vergütung auf.Hat der Arbeitnehmer durch Ableistung einer erheblichen Anzahl von Überstunden ein Guthaben erwirtschaftet, so widerspricht es dem Garantielohnprinzip, wenn diese Stunden in einsatzfreien Zeiten abgebaut werden.

Wie ist die aktuelle Situation?

Die Verleihunternehmen ziehen verleihfreie Zeiten einfach vom Stundenkonto ab. Diese Art der Führung des Arbeitszeitkontos verstößt gegen den Rechtsgedanken des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG. Sie ist aber - wie jeder Leiharbeitnehemer weiß - absolut gängige Praxis.

Die Tarifverträge sind nicht ausreichend klar. Die vom BAG für den 13. März 2013 erwartete Musterentscheidung ist ausgefallen, da sich die Parteien eine Woche (!) vor dem Termin verglichen haben; über den Inhalt des Vergleichs ist nicht bekannt.

 

Was müssen die Gewerkschaften fordern?

In den anstehenden Tarifverhandlungen müssen die Gewerkschaften auf eine Klarstellung hinwirken. Die Handhabung des Arbeitszeitkontos muss ausformuliert werden. Mit folgenden Grundsätzen:

Der Abzug vom Arbeitszeitkonto erfolgt nur dann,

  • wenn die zu geringe tatsächliche monatliche Arbeitszeit  vom Arbeitnehmer zu verantworten ist (so bei unentschuldigtem Fehlen oder bei vorzeitigem Verlassen des Arbeitsplatzes bzw. Verspätung durch eigenes Verschulden),
  • wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Vereinbarung über einen Freizeitausgleich treffen, und zwar in Textform,
  • wenn die monatlich zu leistende Arbeitszeit regelmäßig durch einen Dienstplan geregelt wird, den der Arbeitnehmer bis zum 20. des Vormonats erhalten hat oder
  • wenn in einem Monat allein aufgrund der (geringen) Anzahl der Arbeitstage  die monatliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit unterschritten wird (bei 21 Arbeitstagen oder weniger).

Ganz allgemein ist eine Kürzung des Arbeitkontos dann ausgeschlossen,

  • wenn ein unvorhersehbarer und nicht geplanter Ausfall stattfindet, für den keine der genannten oben genannten Konstellationen zutrifft.
  • wenn sich der Arbeitnehmer in der (nicht selbst verschuldeten) veleihfreien Zeit für Arbeitseinsätze bereit halten oder sich beim Arbeitgeber melden muss.

 

Die Regelungen zum Arbeitzeitkonto stellen für die Leiharbeitnehmer bares Geld dar. Die bisherige Handhabung verstößt gegen die Grundsätze der EU-Richtlinie, die eine Bezahlung der verleihfreien Zeiten vorschreibt, wenn kein Equal Pay gewährt wird. Die Regelungen zum Arbeitszeitkonto müssen geändert werden.

 

 

Neue Tarifverträge für Leiharbeit: Weiter so oder Equal Pay?

 

Ende Oktober 2013 ist es soweit: Die Tarifverträge zur Leiharbeit laufen aus. Kommt dann endlich "gleicher Lohn für gleiche Arbeit"?

Es sieht nicht danach aus.

Bereits im März hat die DGB-Tarifgemeinschaft die Verhandlungen mit den Zeitarbeitgebern aufgenommen. Und liest man die Stellungnahme des DGB-Verhandlungsführers Claus Matecki, dann erscheint ein "Weiter so" wahrscheinlicher als das Ende der Tarifverträge. Zum Leidwesen vieler kritischer Gewerkschaftsmitglieder, die nach dem Ende der Christlichen Gewerkschaften kein Verständnis für eine Kooperation mit der Leiharbeitsbranche aufbringen.

Die Argumente pro Tarifvertrag:

...

 

 

Update Dauerleihe: Die Pilotverfahren der Leiharbeitnehmer

 

Seit dem 1. Dezember 2011 streitet die Fachwelt um die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Was heißt "vorübergehend"? Und was geschieht, wenn die Überlassung nicht vorübergehend ist?

Neben den zahlreichen Beschlussverfahren zu § 99 BetrVG stehen die wenigen, aber umso bedeutsameren Klagen von Leiharbeitnehmern im Fokus. Nachfolgend Auszüge und Leitsätze der wichtigsten Entscheidungen; getrennt nach alter und neuer Rechtslage.

Alte Rechtslage (bis 30.11.2011):

BAG - Urteil vom 28.06.2000 (7 AZR 100/99)

- vermutete Vermittlung führt nicht zu Arbeitsverhältnis; § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht anwendbar bei vermuteter Vermittlung

Die Freiheit, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder dies zu unterlassen, ist Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit. In diese wird eingegriffen, wenn ohne die zu einem Vertragsschluß erforderlichen beiderseitigen übereinstimmenden Willenserklärungen oder gar gegen den Willen einer oder auch beider Parteien kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet werden soll. Die Entscheidung des Gesetzgebers zu einem solchen Eingriff muß im Gesetz einen hinreichenden Ausdruck finden.

Die analoge Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift setzt eine Regelungslücke, dh. eine "planwidrige Unvollständigkeit" des Gesetzes voraus (Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S 373). Eine solche liegt nicht vor. Die Situation des Leiharbeitnehmers ist in den Fällen des § 1 Abs. 2 AÜG nicht vergleichbar mit der des unerlaubt überlassenen Arbeitnehmers, für den § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG das Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert. Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist erforderlich, weil bei Fehlen der nach § 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis der Vertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Damit der Arbeitnehmer in diesem Fall überhaupt in einem Arbeitsverhältnis steht, fingiert § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein solches zum Entleiher.

BAG - Urteil vom 2.6.2010, 7 AZR 946/08

- Keine Umgehung des Kündigungsschutzes

Anhaltspunkte für einen Missbrauch der vertraglichen Gestaltungsfreiheit bestehen nicht. Zwischen der Klägerin und dem S eV besteht ein dem Kündigungsschutz und dem Geltungsbereich des TzBfG unterliegender Arbeitsvertrag. Damit wird der gesetzliche Bestandsschutz gerade nicht umgangen.

 

Neue Rechtslage (ab 01.12.2011)

LAG Berlin-Brandenburg- Urteil vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12 (+);

Institutioneller Rechtsmissbrauch und Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 im Falle verbotener Dauerleihe

1. Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung stellt es einen institutionellen Rechtsmissbrauch dar, wenn das verleihende Konzernunternehmen nur an einen oder mehrere Konzernunternehmen Arbeitnehmer verleiht, nicht am Markt werbend tätig ist und die Einschaltung dieses verleihenden Unternehmens nur dazu dient, Lohnkosten zu senken oder kündigungsschutzrechtliche Wertungen ins Leere laufen zu lassen. Dies hat zur Folge, dass dem Scheinentleiher die Arbeitgeberstellung zukommt.

2. Für die Zeit ab dem 1. Dezember 2011 ist eine schon erteilte Erlaubnis nach § 1 AÜG auf die vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern beschränkt. Die Überlassung auf Dauer ist nicht (mehr) erlaubnisfähig. Erfolgt die Überlassung eines Arbeitnehmers an den Entleiher nicht nur vorübergehend, kommt nach §§ 10 I 1 2. Alt, 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zu Stande.

3. Eine Überlassung von Arbeitnehmern, die auf Dauer angelegt ist, erfolgt nicht mehr vorübergehend. Dies ist der Fall, wenn die verliehenen Arbeitnehmer auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden, für die keine Stammarbeitnehmer vorhanden sind.

LAG Baden-Württemberg - Urteil vom 22.11.2012 – 11 Sa 84/12

§ 10 Abs. 1 Satz 1 analog im Falle unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung

1. Wirksame Arbeitnehmerüberlassung setzt voraus, dass diese vorübergehend erfolgen soll (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG). (amtlicher Leitsatz)

2. Dies ist regelmäßig nicht anzunehmen, wenn ein Entleiher Stellenausschreibungen für unbefristete Arbeitsverhältnisse schaltet, auch wenn er erwähnt, dass die Einstellung durch die verleihenden Personaldienstleister erfolgen soll.

3. Rechtsfolge unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung ist auch im Falle nicht vorübergehender Überlassung die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG analog).

 

LAG Berlin-Brandenburg- Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12;

Keine Anspruchsgrundlage für Übergang des Arbeitsverhältnisses

1. Verfügt der Verleiher über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG wird auch bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis nicht mit dem Entleiher begründet. Auch wenn in diesen Fällen Arbeitsvermittlung zu vermuten wäre, fehlt es nach Wegfall von § 13 AÜG sowie der Vermutungswirkung in § 1 Abs. 2 2. Alt. an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG v. 28.6.2000 - 7 AZR 100/99 - BAGE 95, 165 - 170; BAG v. 2.6.2010 - 7 AZR 946/08 - EzA § 10 AÜG Nr 13).

2. Ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher kann auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung von §§ 1 Abs. 2, 10 Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG begründet werden. Im Hinblick auf die langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, in der eine solche Sanktion verneint wurde, ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bei der letzten Änderung des AÜG aufgrund der Richtlinie bewusst gegen eine entsprechende Sanktion entschieden hat.

3. Jedenfalls für Verträge, die vor Änderung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG abgeschlossen wurden, kann auch kein nach § 242 BGB rechtsmissbräuchliches Schein- oder Strohmanngeschäft angenommen werden.

CGZP Urteile vom 13. März 2013: Kommentar von RA Holger Thieß

 

Der 5. Senat des BAG hält vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen unter bestimmten Voraussetzungen für anwendbar. Ein Fehlurteil, das den findigsten und windigsten Verleihunternehmen nutzt und weiteren Streit vorprogrammiert.

Mit seiner Rechtsauffassung hat das Gericht den Arbeitgebern denjenigen Vertrauensschutz zugesprochen, den es doch angeblich vorenthalten wollte. Vertrauensschutz durch die Hintertür. Oder: "Gerechtigkeit auf halber Strecke", wie es Eva Völpel in der taz formuliert.

Einzig richtig und konsequent wäre es gewesen, den Arbeitgebern die Berufung auf Ausschlussfristen im Anschluss an die unzulässige Einbeziehung des nichtigen CGZP-Tarifs nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu versagen. Und zwar ausnahmslos. Dies hätte den gesetzlich zwingenden Schutz für die Arbeitnehmer hergestellt  und wäre zugleich die angemessene Sanktion für die Verleihunternehmen gewesen. Und es hätte nebenbei die Klärung vieler offener Rechtsstreite herbeigeführt.

Eine weitere Klagewelle wird ausbleiben. In den laufenden Verfahren indes wartet noch viel Arbeit: Praktisch jeder Fall ist – was die Ausschlussfristen angeht – ein wenig anders gelagert. Eine Vielzahl weiterer BAG-Urteile ist zu erwarten. Klarheit wird es erst geben, wenn auch die letzten Ansprüche verjährt sind.

Und so werden sich viele Verleihunternehmen freuen, wie gut sie mit ihren Tricks und Kniffen gefahren sind. Auch dank der Rechtsauffassung des 5. Senats.

CGZP-Urteile vom 13. März: Die wichtigsten Fragen und Antworten

 

Am 13.03.2013 hat das Bundesarbeitsgericht eine Reihe von CGZP-Urteilen der Landesarbeitsgerichte auf den Prüfstand gestellt. Ein Teil der Fragen wurden zugunsten der Arbeitnehmer beantwortet, ein Teil zu Gunsten der Arbeitgeber, ein Teil bleibt offen:

1. Kann sich ein Verleihunternehmen auf Vertrauensschutz bis zum 14.12.2010 berufen?

Nein, der gute Glaube an die Wirksamkeit nichtiger Tarifverträge wird nicht geschützt. Positiv für die Arbeitnehmer.

2. Ist die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den mehrgliedrigen CGB-Tarifvertrag intransparent und damit auch unwirksam?

Ja, die typischerweise verwendeten Klauseln sind gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent und deshalb unwirksam. Die Umstellung der Arbeitsverträge im Jahre 2010 hat den Arbeitgebern nichts gebracht.Positiv für die Arbeitnehmer.

3. Kann sich das Verleihunternehmen auf Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag bzw. im Tarifvertrag berufen?

Eine Berufung auf die Ausschlussfrist ist dem Verleihunternehmen grundsätzlich nur dann möglich, wenn eine Frist von mindestens drei Monaten vereinbart worden ist, und zwar – wie das BAG betont - „wirksam“ vereinbart worden ist. Ausschlussfristen von weniger als drei Monaten sind generell unwirksam. Ob und ggf. unter welchen Umständen eine Frist von drei Monaten „wirksam“ vereinbart worden ist, bleibt noch im Dunkeln. Einen ersten Hinweis wird die schriftliche Urteilsbegründung geben, weiterer Streit ist vorprogrammiert.

4. Wann begannen die Fristen für Ausschlussfristen zu laufen?

Die Fälligkeit tritt so ein, wie es im Arbeitsvertrag vereinbart ist (zum Beispiel zum 20. des Folgemonats). Der Tag der BAG-Entscheidung vom 14.12.2010 hat für die Fälligkeit der Vergütung und damit für den Beginn des Laufs der Ausschlussfrist keine Bedeutung. Positiv für die Arbeitgeber.

5. Wie ist es bei der Verjährung?

Wie bei der Ausschlussfrist. D. h. die Verjährungsfrist beginnt unabhängig von der rechtlichen Beurteilung der Tariffähigkeit der CGZP. Damit verjähren Nachzahlungsansprüche aus  2010 am 31.12.2013. Ansprüche vor dem Jahre 2010 sind bereits verjährt, wenn noch keine Klage erhoben worden ist. Positiv für die Arbeitgeber.

6. Wie wird die Entgeltdifferenz berechnet?

Der Entgeltanspruch besteht während der Dauer der Überlassung an ein entleihendes Unternehmen. Es ist ein sogenannter „Gesamtvergleich“ aller Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen. Der geleistete Aufwendungsersatz (z. B. Fahrtkostenerstattung oder Verpflegungsmehraufwand) bleibt dabei jedoch außer Betracht, weil er nicht zum Entgelt im engeren Sinne gehört.

7. Welche Fragen bleiben offen?

Das BAG hat mit seiner Entscheidung leider nicht die gewünschte Klarheit geschaffen. Viele  Fragen rund um die Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Ausschlussfristen bleiben offen, zum Beispiel:

  • Wie ist der Fall zu behandeln, dass der Arbeitsvertrag den gleichen Wortlaut wie der unwirksame Tarifvertrag enthält?
  • Wie verhält es sich mit Ausschlussfristen, die nachträglich vereinbart worden sind und dadurch (wie ein Verzicht) zurückwirken?
  • Wie wirkt sich eine spätere Umstellung auf den DGB-Tarifvertrag aus?
  • Besteht die Möglichkeit, Schadensersatz wegen der Einbeziehung unwirksamer Tarifverträge (Verstoß gegen Nachweisgesetz) zu verlangen?

 

Diese und viele andere Fragen wird das BAG in den kommenden Monaten beantworten müssen. Es sei denn - und dies scheint nach bisheriger Erfahrung am wahrscheinlichsten - es kommt zu Prozessvergleichen, in denen die Arbeitnehmer auf viel Geld verzichten.

Lies auch Kommentar zu den BAG-Urteilen vom 13.03.2013

CGZP-Prozesse: Welche Entscheidungen trifft das BAG am 13. März?

 

In seinem Blog hat der Kollege RA Alexander Bissels dankenswerter Weise zusammen gestellt, welche Fragen das BAG bei seinen Entscheidungen am 13. März beantworten wird. Nach seiner Einschätzung wird das BAG in den Verfahren 5 AZR 954/11, 5 AZR 242/12, 5 AZR 242/12,  5 AZR 294/12, 5 AZR 424/12 zu folgenden Fragen Stellung nehmen:

 

1. Ist ein equal pay-Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG wegen der nur gegenwartsbezogenen Feststellung der Tarifunfähigkeit durch das BAG am 14.12.2010 nach wie vor auszusetzen (so LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11)?

2. Kann sich der Personaldienstleister auf einen Vertrauensschutz bis zum 14.12.2010 berufen (ablehnend: LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11; LAG Hamm v. 25.01.2012 – 3 Sa 1544/11)?

3. Ist die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den mehrgliedrigen CGB-Tarifvertrag intransparent und damit unwirksam (zustimmend: LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11; a.A. LAG Düsseldorf v. 08.12.2011 – 11 Sa 852/11)?

4. Kann sich der Personaldienstleister auf die in einem unwirksamen Tarifvertrag vorgesehenen und arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Ausschlussfristen berufen (zustimmend: LAG Düsseldorf v. 08.12.2011 – 11 Sa 852/11; einschränkend: LAG Hamm v. v. 25.01.2012 – 3 Sa 1544/11)?

5. Können arbeitsvertraglich vereinbarte längere Verfallfristen einem equal pay-Anspruch entgegenstehen, selbst wenn in dem in Bezug genommenen Tarifvertrag (kürzere) Ausschlussfristen vorgesehen sind (zustimmend: LAG Sachsen v. 23.08.2011 – 1 Sa 322/11; a.A. LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11)?

 6. Wann beginnen die arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen zu laufen? Erst am 14.12.2010 (so LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11), mit der Fälligkeit des jeweiligen Entgeltanspruchs (so LAG Sachsen v. 23.08.2011 – 1 Sa 322/11) oder spätestens am 07.12.2009 (so LAG Düsseldorf v. 08.12.2011 – 11 Sa 852/11)?

7. Mindern vom Personaldienstleister gewährte Aufwandsentschädigungen und erstattete Fahrtkosten den equal pay-Anspruch (ablehnend: LAG Berlin-Brandenburg v. 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11; a.A. LAG Hamm v. 25.01.2012 – 3 Sa 1544/11)?

8. Wird die Verjährung wegen der bis zum 14.12.2010 bestehenden Rechtsunsicherheit zur Tarifunfähigkeit der CGZP gehemmt (ablehnend: LAG Hamm v. 21.03.2012 – 3 Sa 1526/11)?

 

Lassen wir uns überraschen...

 

 

Märkische Allgemeine berichtet über Dauerleihe bei Asklepios

 

Die Rechtstreitigkeiten an den Asklepios Kliniken in Brandenburg, Lübben und Teupitz erregen zunehmen öffentliche Aufmerksamkeit. In der Wochenendeausgabe vom 23./24.02.2013 berichtet die Märkische Allgemeine über die laufenden Verfahren an den Arbeitsgerichten in Brandenburg und Cottbus sowie am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg.

Sieben Kriterien für den Scheinwerkvertrag: Der Gesetzesvorschlag der SPD

 

Mit einem ausführlichen Vorschlag hat sich die SPD-Bundestagsfraktion in die Diskussion um den Missbrauch des Werkvertrages eingeschaltet. Nachzulesen unter Bundestags-Drucksache 17/12378 vom 19.02.2013.

Sieben Kriterien für den Scheinwerkvertrag

Kernstück des Vorschlags ist die Einfügung eines Vermutungstatbestandes als § 1 Abs. 1a AÜG. Diese Vorschrift definiert den Scheinwerkvertrag anhand sieben ausgesuchter Kriterien, von denen drei erfüllt sein müssen, um die Vermutung der Arbeitnehmerüberlassung auszulösen.

Gleiche Sanktion wie bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung

Wird ein Scheinwerkvertrag als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag enttarnt, so soll dies zu einem Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Scheinwerkvertragbesteller führen. Der Scheinwerkvertrag soll also "sanktioniert" werden wie die illegalle Arbeitnehmerüberlassung.

Nachfolgend das Kernstück der Regelung im Wortlaut:

Als § 1 Absatz 1a AÜG wird folgende Regelung aufgenommen:

„Im Hinblick auf einen bei einem anderen als dem Einsatzunternehmen angestellten Arbeitnehmer besteht eine Vermutung für Arbeitnehmerüberlassung, wenn drei der folgenden Merkmale vorliegen:
1. Die Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit eines
im Einsatzbetrieb angestellten oder eines dort innerhalb der letzten zwei Jahre angestellten
Arbeitnehmers;
2. der Arbeitnehmer verwendet Material oder Werkzeug des Einsatzbetriebes;
3. es soll kein Ergebnis erstellt werden, das dem Arbeitgeber zugerechnet werden
kann;
4. eine Gewährleistung des Arbeitgebers ist vertraglich ausgeschlossen;
5. der Arbeitgeber haftet für Auswahl und fristgerechte Zurverfügungstellung der
Arbeitnehmer;
6. es erfolgen von einem konkreten Ergebnis unabhängige Abschlagszahlungen an
den Arbeitgeber;
7. die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist im Vertrag mit seinem Arbeitgeber detailliert
beschrieben.
Wenn im Streitfall eine Partei Indizien beweist, die das Vorliegen von drei Merkmalen
vermuten lässt, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass keine Arbeitnehmerüberlassung
vorliegt. Es entscheidet die tatsächliche Durchführung des Vertrags
über seinen Rechtscharakter.“

 

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